Der Berliner Schriftsteller Gunnar Kunz hat mittlerweile einige Bücher herausgebracht, die eine gesellschaftliche Relevanz für den Umgang mit Männerschicksalen und der Stellung des Mannes in der Gesellschaft insgesamt haben. Er schreibt über männliche Beschneidung, über die s. g. „entsorgten Väter“ – Väter also, denen die eigenen Kinder vorenthalten werden – oder auch über männliche Opfer häuslicher Gewalt.
Das alles war Grund genug, dass ich mich einmal mit ihm getroffen und ein kurzes Gespräch mit ihm geführt habe. Wir haben uns kurz über seine Geschichte über die Beschneidung, die gerade auch auf Englisch erschienen ist, sein „großes Männerbuch“ und entsorgte Väter unterhalten. Desweiteren werden seine aktuellen Bücher zu männerrelevanten Themen kurz vorgestellt.
NICHT-Feminist Herr Kunz, erzählen Sie uns kurz, worum es in „Unberührbar“ geht.
Gunnar Kunz „Unberührbar“ ist die Geschichte von Jason, der mit 9 Jahren beschnitten werden soll und die Erfahrung machen muss, dass es sich dabei nicht bloß um eine belanglose Operation handelt, wie so oft behauptet, sondern um ein im wahrsten Sinne des Wortes einschneidendes Erlebnis, das mit Leid und Schmerzen einher geht und ihn für immer verändern wird.
Vor der Operation ist er erstaunt, dass er bei seinen naiven Fragen zum Thema damit konfrontiert wird, dass die Leute eher ausweichend antworten oder komische Witze machen, er aber nach erfolgter Beschneidung feststellen muss, dass er nun ganz alleine mit den Folgen klar kommen muss. Darum geht es in der Geschichte.
NICHT-Feminist Aus welchem Grund wird er beschnitten?
Gunnar Kunz Der Junge hat einen amerikanischen Hintergrund. In den Staaten scheint es nahezu ein Automatismus zu sein, dass Jungen beschnitten werden.
NICHT-Feminist Dieser Automatismus ist natürlich besonders schlimm.
Gunnar Kunz Sicher. Man kann halt keine Glaubensgründe oder medizinische Gründe vorschieben.
NICHT-Feminist Einigen Lesern wird die Geschichte vielleicht schon bekannt vorkommen.
Gunnar Kunz „Unberührbar“ ist ein separat veröffentlichter Teil meines Buches „Verwundbar sind wir und ungestüm“, in dem ich männerrelevante Themen aufgreife. Ich wollte kein weiteres Buch schreiben, das mit Zahlen und Statistiken gefüllt ist, sondern in dem Geschichten über die häufig ausgeblendete männliche Lebenswirklichkeit erzählt werden.
Mir geht es darum, den Mann als Mensch mit all seinen Gefühlen, seinem Seelenleben und seinen Gedanken darzustellen.
NICHT-Feminist Warum ein Buch mit Geschichten bzw. einzelne Geschichten und kein weiteres Sachbuch?
Gunnar Kunz Zahlen und Statistiken in einem Sachbuch kommen gegen Mythen nicht an. Zahlen und Statistiken sind leicht zu verdrängen. Wenn man jedoch in einer Geschichte emotional nachvollziehbar macht, warum ein Mann in einer bestimmten Situation auf eine bestimmte Weise reagiert, was er dabei fühlt, wie er sich bemüht, einen Konflikt zu lösen, kurz: dass es sich dabei um einen ganz normalen Mann handelt, der stellvertretend durchlebt, was jedem anderen Mann jederzeit genau so zustoßen könnte, dann kann man diese Vorkommnisse nicht mehr so leicht von sich wegschieben. Hoffe ich.
So lange aber im Tatort böse Väter auftauchen, die ihre Ex-Frauen und Kinder drangsalieren, wird sich in den Köpfen der Menschen nicht viel ändern und es wird nach wie vor ein weiter Weg bleiben. Es gibt gerade bei den Themen Beschneidung und häusliche Gewalt gegenüber Männern tief verwurzelte Vorurteile oder es wird ganz einfach gelacht, wenn so etwas zu hören ist. Und ich glaube, dass es ein ganz anderes Verständnis für die Betroffenen gibt, wenn man über eine Geschichte mit ihnen mitleiden kann. Zahlen und Fakten führen nicht so sehr zu einem Verständnis, wie eine Geschichte über Betroffene.
NICHT-Feminist Warum haben Sie die Geschichte noch einmal separat veröffentlicht?
Gunnar Kunz Eigentlich war es umgekehrt. „Unberührt“ war zuerst da. Ich habe vor vier Jahren mit dem Buch angefangen. Eine der frühen Geschichten, die ich damals geschrieben habe, war halt die Geschichte über die Beschneidung. Alles angeregt durch das Gerichtsurteil damals. Es kam dann eine Geschichte zur anderen, so dass halt „Verwundbar sind wir und ungestüm“ entstanden ist. „Unberührbar“ habe ich zunächst alleine veröffentlicht, um in der damals aktuellen Diskussion zu sein.
„Unberührbar“ habe ich ebenso wie drei weitere Geschichten zusätzlich separat veröffentlicht, um auch Menschen zu erreichen, die sich weniger für das große Ganze interessieren als für ein bestimmtes Problem. Nicht jeder interessiert sich für die Sicht auf den Mann als Ganzes.
Außerdem habe ich nun Jasons Geschichte ins Englische übersetzen lassen, weil das Thema gerade in Amerika, wo Beschneidungen von Jungen alltäglich sind, immer präsent ist.
Beide Varianten, also sowohl die deutsche als auch die englische, wurden um ein Interview mit Betroffenen ergänzt, das einem die Augen öffnet für die Dinge, über die in der Öffentlichkeit kaum gesprochen wird. Ich bin sehr zufrieden mit dem Interview, weil die Beteiligten mit großer Offenheit über alle Aspekte gesprochen haben, über ihre Gefühle, über die Auswirkungen auf ihre Sexualität, über ihr Verhältnis zu sich und ihrem Körper, über die Reaktionen anderer.
NICHT-Feminist Gibt es ein Thema bei dem Sie aufgrund Ihrer Veröffentlichungen besonders viel Feedback erhalten haben?
Gunnar Kunz Gerade bei „Unberührbar“ habe ich recht viel Feedback bekommen, weil das Thema leider immer noch recht aktuell ist und weil es im Gegensatz zur häuslichen Gewalt gegenüber Männern nicht ganz so totgeschwiegen wird. Da habe ich also die meiste Rückmeldung.
Ich wünschte mir allerdings, dass es mir Reaktionen auf „Barfuß über Scherben“ gäbe, da gerade auch in diesem Bereich sehr viele Menschen betroffen sind. Die Resonanz dort könnte etwas größer sein. Ich dachte immer „entsorgte Väter“ betrifft nahezu die halbe Welt. Vielleicht sind diejenigen, die es betrifft auch einfach zu sehr mit dem Thema belastet, als dass sie sich noch durch ein Buch mit dem Thema auseinandersetzen könnten.
Ich habe aber einmal dem „Väteraufbruch“ ein Interview gegeben und anschließend hat mich ein „entsorgter Vater“ angerufen und eine halbe Stunde mit mir telefoniert. Während dieses Telefonats hat er ununterbrochen geweint, weil er in einer solchen furchtbaren Situation war und die Verzweiflung unendlich groß war. Die Schicksale dieser Väter werden einfach nicht ernst genommen und teilweise sogar lächerlich gemacht.
NICHT-Feminist Herr Kunz, ich danke Ihnen für das kurze Gespräch.
Gunnar Kunz – Unberührbar (Amazon)
Jason soll beschnitten werden. Ob das wohl weh tut? Nein, sagen alle, es ist vielleicht ein bisschen unangenehm, mehr nicht. Aber warum weicht sein Freund Hakan dann allen Fragen aus? Warum reißt jeder, mit dem er darüber reden will, bloß dumme Witze? Warum huschen alle so schnell wie möglich über das Thema hinweg, als fürchteten sie, eine verbotene Tür zu öffnen und etwas Schreckliches herauszulassen?
(Das Buch enthält außerdem ein Gespräch mit Betroffenen)
Gunnar Kunz – Untouchable or: Just a snip (Amazon)
Jason is going to be circumcised. Will that hurt? No, say the grown-ups, it’ll just be a bit unpleasant, that’s all. But then why does his friend Hakan avoid any of Jason’s questions? Why does everyone he tries to talk to about it just make stupid jokes? Why do they all seem to run away from the topic as if they were afraid of opening a forbidden door and letting something terrible escape? (Including a conversation with those affected)
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Gunnar Kunz schreibt neben seinen Büchern über die s. g. Männerthemen auch Krimis, Kinderbücher, Liedtexte und vieles mehr. Viele seine Bücher hat er selbst illustriert. In einem folgenden Interview werden wir sein weiteres Schaffen näher beleuchten.