Nonkonformistische Lyrik im Dritten Reich
Eine Anthologie
Rezension von. Michael Mansion
Mal ganz ehrlich, wann haben sie zum letzten Mal ein Gedicht gelesen? Sie können sich nicht mehr erinnern? Aber woran liegt das eigentlich? Kann es sein, dass Gedichte eine ganz besondere Aura benötigen, eine kontemplative Ruhe und diese nicht nur beim Lesen, sondern auch beim Schreiben?
Wir richten unser Augenmerk zunächst auf das Schreiben, weil es sich in diesem Falle um Autoren handelt, die Deutschland während des Nationalsozialismus nicht verlassen hatten. Dafür hat es die unterschiedlichsten Gründe gegeben und sie reichen von einem gelegentlichen und ängstlichen Einvernehmen mit dem NS über eine kritische Distanz bis zu harscher Ablehnung.
Einmal davon abgesehen, dass eine „freiwillige“ Flucht ohne Lebensgefahr oder drohendem Berufsverbot in der Regel gewisse Privilegien voraussetzt, über die nicht alle verfügten, hatte sich die Nachkriegsgermanistik darauf verständigt, nur einer sich offen antifaschistisch gerierenden Literatur und Lyrik, das Signum eines Höherwertigen zuzugestehen.
Im Umfeld amtlich verordneter Kulturschande, konnte demnach bei den übrigen Autoren nichts wirklich Gutes entstanden sein.
Günter Scholdt spricht hier von einem Grundirrtum der deutschen Germanistik und hatte ja schon in seinem Buch „Schlaglichter auf die innere Emigration“ den Versuch unternommen, Autoren zu würdigen, dem Vergessen zu entreißen, die während des NS in Deutschland gelebt und geschrieben haben.
Der Vorwurf und die nicht selten zu hörende Behauptung, es handele sich dabei nur um mittelmäßige Literatur und Lyrik, ist nicht aufrecht zu erhalten!
Gerade auch dieser umfangreiche, der Lyrik gewidmete Band (eigentlich sind es zwei mit insgesamt 838 Seiten), ist ein in dieser Form einmaliges Kompendium, das Günter Scholdt in reichlich dreißig Jahren gesammelt und der Wiener Germanist Christoph Fackelmann sachkundig ergänzt hat.
Im Vorwort verweisen die Herausgeber auf die Lebendigkeit der Musen auch in finsteren Zeiten. Es offenbart sich eine vielfältige Landschaft aus der Feder teils bekannter, teils weniger bekannter Autoren, die ein Nonkonformismus eint, der weder Teil staatlicher Propaganda, noch Teil eines politisch vordergründigen Antifaschismus sein will und sein kann.
Zugleich finden sich ganz beachtliche Exempel eines offenen und teils versteckten Widerstandes. Innere Emigration will sich dabei als dissidente Haltung gegenüber einem Totalitarismusanspruch verstanden wissen.
Übersehen wird dabei nicht, dass sich manche Autorinnen und Autoren auch Schwächen in ihrer publizistischen Moral erlaubt haben. Immerhin lebte man ruhelos in ständig großer Gefahr und es war schwierig, ein alles beherrschendes Sprachregime zu durchdringen, um der eigenen Sprache Geltung zu verschaffen. Der Literaturbetrieb war während dem NS einem Dirigismus unterworfen, aber er war zugleich keineswegs tot hinsichtlich vieler beachtlicher künstlerischer Äußerungen. Es gab diese „andere Stimme Deutschlands“ aus der Feder seiner daheim gebliebenen Dissidenten.
An einer Stelle heißt es: „Das authentische Gefühl für die Tendenzen zur Orwellschen Umkehrung der Begriffsverhältnisse in der Gegenwart, verleiht dem Blick zurück, auf den Ausdruck des Unbotmäßigen, Sehnsucht nach Recht und Gerechtigkeit, Menschlichkeit und nicht zuletzt einfach künstlerischer Freiheit, wie sie sich in den porträtierten nonkonformistischen Literaturdenkmälern aus dem „Dritten Reich“ verkörpert, eine zusätzliche Brisanz“.
Nein,- es ist eben nicht so, dass die Daheimgebliebenen nur überleben konnten, weil sie sich willig oder unwillig angepasst hatten. Erkennbar war bisweilen eine Bevorzugung von nicht vordergründig politischen Themen und es entstanden großartige Gedichte etwa zu den Themen Natur und Mystik.
Dabei sollte nicht vergessen werden, dass einige von ihnen ständig von Gestapohaft, Erpressung, Schikanen, Schreibverboten und Todesdrohungen bedroht waren. Hierfür stehen zum Beispiel Dichter wie Günter Weisenborn und Wolfgang Borchert in besonderer Weise.
Exemplarisch und um hier wenigstens eines der Gedichte zu zitieren, Wolfgang Borcherts „Der Mond lügt“, geschrieben in der Haftanstalt Moabit:
„Der Mond malt ein groteskes Muster an die Mauer.
Grotesk? Ein helles Viereck, kaum gebogen,
von einer Anzahl dunkelgrauer
und schmaler Linien durchzogen.
Ein Fischernetz? Ein Spinngewebe?
Doch ach, die Wimper zittert,
wenn ich den Blick zum Fenster hebe:
Es ist vergittert!“
Insoweit ist die Beschäftigung mit diesem Teil der deutschen Lyrik mehr als eine Pflichtlektüre in Zeiten, wo das Wort wieder unter Verdacht steht.
Der zweite Band versteht sich als „Leitfaden durch unbekanntes Terrain“. Hier gibt es umfangreiche Hinweise auf die Autorinnen und Autoren, sowohl im Sinne ihres künstlerischen Anspruches, als auch zu ihrem gesellschaftlichen Standort unter Berücksichtigung der teilweise zwangsweise erfolgten Bewegungen und Ortswechsel. Die daraus entstandenen künstlerischen Entwürfe werden in Einzelbeispielen dargestellt.
So werden Entwicklungen deutlich, die sich sowohl aus der künstlerischen Nähe einiger Autoren zueinander, als auch aus der jeweils besonderen Situation einer ständigen Anspannung in der Hoffnung auf ein baldiges Ende des Erlebten ergeben.
Ganz ehrlich,- es lohnt sich, gelegentlich mal wieder Gedichte zu lesen!
Eisblumen
Eine Anthologie
Teil 1/ Teil 2 (Grundlagen)
In Zusammenarbeit mit Ruth Wahlster
Herausgegeben von Günter Scholdt und Christoph Fackelmann
Lepanto-Verlag
ISBN 978-3-942605-32-8