Hitlers Kontrahenten in der NSDAP
von Werner Bräuninger
von Werner Bräuninger
Eine Rezension von Michael Mansion
Die deutsche Erinnerungskultur kennt einige verordnete Gedenktage, die im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus auf eine Opposition verweisen, der man eine substantielle Gegnerschaft zum NS unterstellt.
Dem Autor Werner Bräuninger ist es in diesem Falle um eine zunehmend in Vergessenheit geratene Opposition gegangen, die im Umfeld der NSDAP durchaus systemkonform war, jedoch kritisch gegenüber Hitlers Allmachtsanspruch und dies sowohl auf strategischer, als auch auf ideologisch-inhaltlicher Ebene und damit im Bereich weltanschaulicher Differenzen.
Das Buch hat insgesamt 367 Seiten und gliedert sich in ein Inhaltsverzeichnis, ein Vorwort (zur zweiten überarbeiteten Auflage), eine Auflistung aller aufgeführten Abkürzungen mit Erklärung, sowie in ein Personenregister. Darüber hinaus gibt es eine große Fülle von Anmerkungen und Hinweisen (ab Seite 248) zur Entstehung und inhaltlichen Ergänzung der zweiten Auflage.
Bräuningers umfangreiche Recherche entreißt hier nicht nur eine ganze Reihe von Namen dem Vergessen, sondern verweist auch auf die zum Teil sehr differenzierte Funktion des Apparates der NSDAP, sowie auf zahlreiche Tagebuchaufzeichnungen von Josef Goebbels.
Die Geschichte der NSDAP wird dabei vor diesem Hintergrund von zahlreichen Auseinandersetzungen und Machtkämpfen begleitet, die damit zu einem Teil ihrer inneren Struktur werden.
Kurz nach dem Erscheinen der 1. Auflage dieses Buches, sah sich der Autor mit dem Vorwurf einer „Reinwaschung“ (FAZ) einiger beschriebener Akteure konfrontiert.
Das allerdings lässt auf ein grundsätzliches Missverständnis der Intention des Buches schließen, dem es um den Nachweis einer systemimmanenten Opposition innerhalb des NS geht.
Ein interessanter analytischer Aspekt ist deshalb der Blick auf eine schon frühe Verabschiedung des NS von seiner ursprünglich in Teilen auch sozialistischen wirtschaftspolitischen Programmatik, mit der viele Menschen aus dem linken Lager gewonnen werden konnten.
Zugleich ist dieser sozialistische Anteil des NS ein kritischer Punkt hinsichtlich einer notwendig zeitbezogenen Wertung der Linken (und hier besonders der Kommunisten), die im Nationalsozialismus ein Täuschungsmanöver sahen.
Hitlers Griff nach der Macht sei in der Zeit um 1921 mehrfach gefährdet gewesen, schreibt der Autor und beruft sich dabei z. B. auf die sog. „Werkgemeinschaft“ von Dr. Dickel und der DSP unter Julius Streicher. Dickel habe dabei eine Vereinigung der völkischen Parteien angestrebt, wenngleich unter seiner Führung. Hitler sei außer sich vor Wut gewesen.
Erst mit der Wahl Hitlers zum NSDAP-Parteivorsitzenden sei die Partei zu Hitlers Bewegung geworden.
Hitlers Angstmystizismus
Interessant ist Bräuningers Hinweis auf Hitlers als Angstmystizismus definierte „Wirklichkeitslehre schärfster wissenschaftlicher Erkenntnisse (…)“ anlässlich des Reichsparteitages von 1938, wo er großen Wert darauf legt, dass keine kultische Bewegung entsteht, sondern eine „aus ausschließlich rassischen Erkenntnissen erwachsene, völkische politische Lehre (…)“. Man sei für kultische Handlungen im Gegensatz zu den Kirchen nicht zuständig.
Aus heutiger Sicht müsste gerade Hitlers Berufung auf diese „rassische völkische Lehre“ in einem umgekehrt dialektischen Sinne exakt jenen rassischen Mystizismus entlarven, der in einem kultischen Vernichtungswahn kulminierte.
Antisemitismus und Rassismus
Die aktuellen Rassismus- und Antisemistismus-Vorwürfe an die Adresse kritischer Zeitgenossen in unseren Tagen, erscheinen so im Lichte einer unwissenden oder bösartigen Verdrehung, so lange sie nicht nachweislich die hierfür erforderlichen Kriterien erfüllen. Diese wiederum sind zumindest in Deutschland in hohem Maße durch die historischen Erfahrungen mit dem NS geprägt und erfahren so eine ihnen zustehende Deutung, die nicht beliebig ist. Das Buch liefert hierfür wertvolle Hinweise.
Hitlers Kampf um die Macht
Bei einer ganzen Reihe von Gelegenheiten war Hitler genötigt, seinen Ruf juristisch zu verteidigen. Zahlreiche sog. Beleidigungsprozesse wurden z. T. erfolgreich oder mit einem Vergleich bestritten und der Autor zitiert eine Äußerung Hitlers an seinen ehemaligen Gefolgsmann Kurt Luedecke, zu dem er sagte, er gehe jetzt seinen eigenen Weg, auch wenn ihm keine Seele mehr folge.
Dabei beschwerte er sich, er werde nur deshalb verfolgt, weil er die Einheit des deutschen Volkes anstrebe.
Es gab – so der Autor – erbitterte Auseinandersetzungen zwischen den „Völkischen“ und den „Nationalsozialisten“. Offene Briefe, öffentliche Erklärungen und ein gegenseitiger Briefwechsel werden aufgeführt und liefern das Bild gegenseitiger Abrechnungen, in deren Folge sich Hitler allerdings durchsetzen konnte.
Dabei sei es nicht nur um inhaltliche Dinge gegangen, sondern vor allem um die Person Hitler selbst, etwa im Falle der Südtirol-Frage, wo man ihm Nachgiebigkeit unterstellte, weil er angeblich italienische Finanzspritzen erhalten haben sollte.
Es gab Spannungsfelder der unterschiedlichsten Art. Sie betrafen persönliche Machtansprüche, trugen antimonarchistische Züge, bezogen sich auf den Umgang mit den als großes Unrecht empfundenen Reparationskosten, hatten strategische Dimensionen und waren gelegentlich in einem (Un-) Geist der Verteidigung von sog. Mannesehre gefangen
Durchgängig ergibt sich das Bild einer Auseinandersetzung im konservativ-nationalistischen Milieu, bei einem zugleich sehr ähnlichem Werteverständnis.
Die Person Hitler gewinnt dabei Kontur durch konsequente Polemik, großes Redetalent und ein Zurückdrängen gegnerischer Agitation auch mit Hilfe der verfügbaren Rechtsmittel.
Feindschaft zum Marxismus | Rotfront-Kämpfer in der SA
Einigkeit ist in diesem Milieu auf der Ebene einer Feindschaft gegenüber dem Marxismus auszumachen, wobei der NS hier mehr als nur ein Feindbild im Sinne eines bolschewistischen Ungeheuers ausfindig macht, sondern auch den politischen Konkurrenten unter dem Blickwinkel der damaligen politischen Mehrheitsverhältnisse.
Interessant ist hier die Kritik von Fritz Schäffer, dem Vorsitzenden der Bayerischen Volkspartei, der den NS als feindlich aufgrund seines sozialistischen Anspruches definiert.
Hitlers Antwort war rüde und eine Kampfansage „gegen die heutigen Parteien eines Regiments von Verjudung und Versklavung Deutschlands“.
Die Generalauseinandersetzung mit dem Marxismus sei durch Schäffers Angriff verschoben und verhindert worden.
Der Zulauf, den vor allem die SA propagandistisch verbuchen konnte, kam nicht zuletzt aus den Reihen enttäuschter Kommunisten, schreibt Bräuninger.
Vereinzelt seien ganze Abteilungen des Rotfront-Kämpferbundes geschlossen zur SA übergelaufen.
Das Auftauchen einer heute s. g. „Homophobie“
Ein keineswegs unbedeutender Nebenkriegsschauplatz war offensichtlich der § 175 und die damit verbundenen gegenseitigen Beschuldigungen der Homosexualität und des Ehebruchs mit teilweise nicht unerheblichen Folgen für die Bezichtigten.
Auch der parteiinterne Streit mit dem Reichsmusikleiter Hillebrand verdient Beachtung, weil dieser zwar linientreu, zugleich aber auch aufsässig und korrupt war.
Ein Streit zwischen den „SA-Königen“ und den „Gaufürsten“ eskalierte auch an der Animosität zwischen Goebbels und dem Freikorps-Führer und späteren Kommandeur einer Polizeihundertschaft Walter Stennes. Dieser kritisierte die schlechte Löhnung, sowie Cliquen und Bonzentum und eine Ungleichbehandlung gegenüber denjenigen, die die Drecksarbeit machen.
Blutige Auseinandersetzungen
Am 30. August 1930 stürmte die Berliner SA die Geschäftsstelle der Gauleitung, wobei es zu blutigen Zusammenstößen mit den SS-Wachen kam.
Zentraler Kern der Auseinandersetzungen waren unterschiedliche Ansichten zum Thema „Nationaler Sozialismus“ contra „Bürgerlicher Nationalismus“. Nach dem Wahlsieg der NSDAP im September 1930, sei es eine Zeit lang schick gewesen, Links-Rechts-Intellektuelle im Rundfunk debattieren zu lassen, was zugleich eine gewisse Diskursoffenheit illustriert, die Anfang der 1930er Jahre noch möglich war, wie etwa am Beispiel der Diskurs-Kontrahenten Erwin Piscator und Josef Goebbels zu belegen wäre.
In der SA verkörpere sich die Tragik des Hitlerschen Denkmusters, meint der Autor und fügt hinzu, sie sei nach dem 30. Juni 1934 mehr und mehr einflusslos geworden.
Von Bedeutung sei die innere Opposition im NS Studentenbund mit ihrer Forderung nach einer „geistigen Überhöhung der ganzen Bewegung“ gewesen.
Ein Gespräch mit Gregor Strasser im Frühjahr 1931 ergab ein völliges Einverständnis mit den Forderungen der studentischen Opposition und er (Strasser) gab zu verstehen, dass er für eine Beteiligung an der Regierung Schleicher votiere, weil dort wenigstens der Anfang zu einem deutschen Sozialismus zu sehen sei.
Der NS reklamierte für sich stets ein humanistisches Ideal, wobei vor allem Traditionsorte wie Schulpforta bei Naumburg gepflegt wurden, weil man sich der Tradition der dort erzogenen Klopstock, Fichte und Nietzsche verpflichtet fühlte.
Dabei standen die sog. Napolaschüler (Napola=Nationalpolitische Erziehungsanstalt-/-Internatsschulen) für eine Elite im Sinne eines nationalsozialistischen Bildungsmodells.
Das Fehlen einer verfassungsmäßigen Schranke habe ein institutionelles Chaos begünstigt, meint der Autor, was den Blick auf einen monolithischen NS-Block unrealistisch werden lasse.
Es bleibe die Widersprüchlichkeit einer konstitutionellen Un-Ordnung innerhalb des „Führer-Staates“ vor allem im Umfeld einer Opposition aus den Reihen der keineswegs immer unbeliebten Gauleiter, die sich gelegentlich für soziale Projekte stark zu machen wussten.
Goebbles hatte die Gauleiter als ein mit allen Wassern gewaschenes kritisches Publikum bezeichnet, dem man nicht mit substanzlosen Erklärungen kommen könne.
Der NS-Staatsapparat
Die oft zu hörende Vorstellung von einem in sich gefestigten und für sich selbst ungefährdeten NS-Staatsapparates, kann man nach dieser Lektüre nicht aufrecht erhalten.
Es erschließt sich eine durchaus vielschichtige Betrachtung des konservativen Lagers dieser Zeit. Das kann zu Spekulationen darüber führen, was passiert wäre, wenn Hitler im eigenen Lager rechtzeitig gescheitert wäre und warum das nicht gelang.
Résumé
Das Buch ist aber zugleich ein verlässlicher Begleiter im Hinblick auf alle geistigen Verirrungen, die in wesentlichen Teilen der politischen Opposition unserer Tage ein Heraufdämmern eines faschistoiden Nationalismus ausfindig machen wollen, obwohl die hierzu nötigen und in diesem Buch beschriebenen Kriterien nicht vorfindlich sind.
Dem Autor ist beizupflichten wenn er sagt, dass sich außer ihm bislang niemand die Mühe einer Kenntlichmachung der systemimmanenten Opposition im NS gemacht hat. Diese wird dabei keineswegs reingewaschen, sondern sie erhält die ihr zukommende analytische Aufmerksamkeit als Teil des notwendigen Verständnisses für den Gesamtkomplex des NS.