Neues von der Phrasen-Dreschmaschine

Michael Mansion

Wer von Zeit zu Zeit mit Soziologen zu tun hat, dem wird nicht entgangen sein, dass sie gelegentlich bestrebt sind, Begriffe zu setzen, die sie für geeignet halten, um eine, beziehungsweise ihre Theorie zu begründen.

Die Methode hat sich offensichtlich bewährt und eine gewisse Anerkennung erworben, was allerdings voraussetzt, dass mit Begriffen nicht leichtfertig oder gar sinnentstellend umgegangen wird, was von Soziologen gemeinhin auch erwartet werden darf.
In den letzten Jahren ist allerdings zu beobachten, dass es so etwas wie eine Begriffs-Verflüssigung gegeben hat, so dass man entweder zu Nachfragen genötigt ist oder zur Resignation, wenngleich eher nicht durch Soziologen verursacht, sondern durch unsere Qualitätsmedien.

Die Theorie vom „demokratischen Faschismus“

Umso mehr muss es deshalb erstaunen, wenn gleich zwei Soziologen, bzw. eine Soziologin, nämlich Carolin Amlinger und der Soziologe Oliver Nachtwey, dem Spiegel (Nr. 42 v. 10.10 25) ein Interview geben, indem sie mit der Theorie eines „demokratischen Faschismus“ aufwarten, womit wir nun nicht unbedingt gerechnet hätten („Die Faschisten von heute wollen die Demokratie erneuern“), waren wir doch mehrheitlich der Meinung, dass sich diese beiden Begriffe eher nicht vertragen.
Hintergrund des Interviews ist der Hinweis auf des neue Buch der beiden mit dem Titel: „Zerstörungslust“, in welchem sich nach Ansicht der Autoren ein neuer Sozialtypus herausschält, den schon das 20. Jahrhundert gut gekannt habe, den Faschisten.

Nun will Der Spiegel aber wissen, ob der von ihnen gebrauchte Begriff eines demokratischen Faschismus kein Widerspruch in sich selbst sei.
Nachtwey antwortet darauf, dass der historische Faschismus die Demokratie habe überwinden wollen. Der Faschismus von heute wolle die Demokratie jedoch erneuern und eine vermeintlich echte Demokratie schaffen, ein System, in dem es eine Identität von Volk und Regierung gibt.

„Diese Leute wollen Wahlen gewinnen, aber gleichzeitig genießen sie Grausamkeit und Gewalt“.

Amlinger legt nach und meint:

„Wir verstehen demokratischen Faschismus als Prozess mit bösem Ende, an dem es keine Demokratie mehr geben wird“.

Er (der demokratische Faschismus) entstamme zwar der Demokratie, stehe jedoch im Widerspruch zu unserem üblichen Verständnis davon, was parlamentarische Demokratie ausmache.

Die Gefahr der „wesentlichen Übereinkunft“

An dieser Stelle gilt es ein wenig zu verweilen, weil sich interessante Aspekte einer Reflexion von Demokratie offenbaren.
Nach Ansicht beider Autoren gibt es in diesem Land also Faschisten, welche eine Erneuerung der vorhandenen Demokratie fordern, indem sie eine Identität von Volk und Regierung anstreben und im Rahmen dieses Vorganges Grausamkeit und Gewalt genießen.
Nun dürfte es ziemlich schwierig sein, zwischen einer Regierung und dem von ihr regierten Volk eine Identität herzustellen, aber so etwas wie eine wesentliche Übereinkunft zwischen einem Staatsvolk und seiner Regierung, im Hinblick auf substanzielle Fragen des gesellschaftlichen Seins, wäre immerhin vorstellbar…im günstigsten Falle.
Das ruft die Frage auf den Plan, was daran so schlecht und undemokratisch sein soll. Schließlich kann man argumentieren, dass eine große Diskrepanz zwischen Volk und Regierung in einem demokratischen Sinne eher nicht wünschenswert ist, weil sich der Souverän in einem solchen Falle von der amtierenden politischen Klasse nicht oder nicht gut vertreten fühlt. Haben wir da etwas falsch verstanden und warum auch sollte das Streben nach großer Übereinkunft eigentlich den zweifelhaften Genuss von Gewalt und Grausamkeit vermitteln?

Interessant ist auch, wenn Amlinger vermittelt, dass sich ihre Interview-Partner zwar stets als Demokraten begriffen hätten, aber sie hätten darunter eine Demokratie verstanden, die strikt dem Primat einer Mehrheit folge, die sich von den liberalen Ideen eines Minderheitenschutzes befreien wolle. Diese Leute wollten eine „normale Demokratie für die Einheimischen“, die sich von Minderheiten an den Rand gedrängt fühlen. Eine Demokratie als Abstammungsgemeinschaft, bei der alle anderen entfernt oder beherrscht werden. Demokratie und Faschismus seien so keine Widersprüche.

Kurze Verschnaufpause und wir lernen, dass es bei einer richtigen Demokratie nicht auf Mehrheitsentscheidungen ankommen darf, wie ja allenthalben auch längst sichtbar und dies vor allem dann nicht, wenn diese mit „normalen“ Einheimischen zustande kommen.
Vielleicht steckt ja da auch die forciert-freundliche Verteilung der Staatsbürgerschaft dahinter, um künftig weniger „normale“ Wahlergebnisse zustande zu bringen?
Nun ist das ja mit der Abstammungsgemeinschaft in Deutschland so eine Sache, nachdem man ja seit 70 Jahren mit viel Aufwand und Erfolg die unterschiedlichsten Völkerschaften, wenngleich vornehmlich aus Europa, integriert hat.
Da hat die (reine) Abstammungsgesellschaft schon lange ein Problem mit sich selbst, macht aber keines daraus.

Probleme hat sie allemal mit denen, die aufgrund einer von ihnen postulieren religiösen Überlegenheit, kein ernsthaftes Interesse an einer Integration in die Kultur ihres Gastlandes bekunden, sondern eher von einer „feindlichen Übernahme“ träumen.
Dass solcherlei Bedenken (denn nur darum geht es letztendlich) in den Anruch des Faschismus gesetzt werden, kann man unterschiedlich beurteilen. Im strengen Sinne wissenschaftlich ist es nicht.
Beiden Autoren verwechseln (freundlich ausgedrückt) Ressentiment mit Faschismus.

Typisierung: Erneuerer, Zerstörer und Libertär-Autoritäre

Amlinger und Nachtwey haben eine Typisierung vorgenommen. Da gibt es die sogenannten Erneuerer, die das liberale politische System zerstören wollen und traditionelle Hierarchien an ihre Stelle setzen. Dann gibt es noch den Zerstörer, der gar nicht an eine bessere Zukunft glaubt und Zerstörung als Selbstzweck begreift. Schließlich ist da noch der Libertär-Autoritäre, der Regulierung ablehnt und sich einen wirtschaftlich befreiten, aber gesellschaftlich autoritären Staat wünscht.
Zur Faschismus-Analogie werde meist gegriffen, um politische Gegner abzuwehren, aber der Begriff ergebe Sinn, wenn man ihn auf empirische Füße stelle. Daraus ergebe ich – so Nachtwey – die komplizierte und in sich widersprüchliche Formulierung „demokratischer Faschismus“.

Niedergangsgefühle als Nährboden

Dass sich faschistische Gefühle etablieren können, sieht Amlinger im Gefühl gesellschaftlichen Niederganges begründet. Zentrale Versprechen der liberalen Moderne werden nicht eingelöst.
Aufsieg und Teilhabe erweisen sich als hohl. In der Mittelschicht sei das Gefühl entstanden, dass die besten Tage vorbei seien.
Zu den 30er Jahren gebe es den Unterschied, dass diese von Massenarbeitslosigkeit gekennzeichnet waren. Heute gebe es aber keine Wirtschaftskrise und keine militarisierte Gesellschaft nebst demobilisiertem Überschuss kriegerischer Männer. Dafür aber mehr Demokratie und Demokraten. Wir erleben keine Zwischenkriegszeit. Dennoch hätte man sich in der BRD lange in falscher Sicherheit gewiegt. Faschistische Tendenzen entstünden nicht aus Mangel an Wissen, sondern aus Gefühlen. Man habe in Alltagsbeobachtungen das Gefühl des Niederganges ausfindig gemacht. Trotz besserer Bildung sei der Wohlstand der Eltern nicht mehr zu erreichen. Das Fortschrittsnarrativ verliere die Kraft. Die gesellschaftlichen Ressourcen erweisen sich als begrenzt. Die Aufstiegschancen für Arbeiter sind gesunken. Für 30% der Bevölkerung sei soziale Stagnation eine Realität.
Es ist dem Spiegel durchaus zugute zu halten, wenn er in diesem Zusammenhang die Frage stellt, ob das gleich dem Faschismus den Boden bereite.
Es sei die Nullsummenlogik, die großen Druck mache, so Amlinger. Es sei in den von ihnen geführten Interviews nach den Klagen über die eigene Situation auffallend schnell zu Hinweisen auf vermeintliche Überpräsenz andersartiger Menschen gekommen, seien es nun Migranten oder Queere, die gerne in einem Atemzug genannt werden. Die Menschen verknüpfen den eigenen Niedergang mit der Verbesserung fremden Lebens.
Der Spiegel hierzu: „Was de facto Unsinn ist“.
Amlinger meint, es handele sich zugleich nicht um reine Imagination, denn der soziale Wandel vollziehe sich widersprüchlich. Fortschritt gebe es aber nur in bestimmten Bereichen, wie etwa der Gleichstellung nicht binärer Geschlechter, der steigenden Frauenerwerbstätigkeit und generell auch der normativen Egalisierung. Diesem Fortschritt stünden aber zugleich materielle Rückschritte gegenüber. Einen kausalen Zusammenhang gebe es nicht, aber das Nebeneinander von Fortschritt und Rückschritt sei eine Erklärung dafür, dass Menschen faschistische Fantasien entwickeln.

Nachtwey fügt hinzu, der Liberalismus habe dafür gesorgt, dass immer mehr Gruppen mit eigenen Rechten in die Gesellschaft inkludiert werden, habe dabei aber die vertikalen Ungleichheiten vernachlässigt, zwischen denen die viel und denen die weniger haben. Das begünstige die Nullsummenlogik.

Kritik an der soziologischen Deutung

Halten wir also fest:
Das Nebeneinander von Fortschritt und Rückschritt definiert sich so, dass gewisse gesellschaftliche Gruppen Sonderrechte (vulgo: eigene Rechte) erhalten, die als Fortschritt zu werten sind, was bei denjenigen faschistische Fantasien erzeugen kann, die solche Sonderrechte kritisch sehen und eventuell der Meinung sind, dass sinnlose Kosten entstehen.
Dass die potenziellen Faschisten Migranten und Queere lt. Umfrage in einem Atemzug nennen, ist eine interessante Behauptung, weil sie unterstellt, dass der Queer-Begriff im alltags-Sprachgebrauch beheimatet ist, was zu bezweifeln wäre. Wer sich im öffentlichen Raum zu diesem Problem mit anderen austauscht, wird nämlich eher nicht hören, dass die „queeren“ Menschen eine fühlbare Belastung darstellen.
Eine solche Behauptung kann getrost als unsinnig zurückgewiesen werden!

Was die vertikalen Ungleichheiten angeht, so hat Nachtwey recht, jedoch anders als er unterstellen will. Es ist nämlich das „Juste Milieu“, dem ihm und die Seinen angehören und sich von dort aus ihren wohlmeinenden Blick auf die intellektuell und finanziell zu kurz gekommenen (analytisch) gestatten, um den wohlfeilen Zeitgeist zu beschwören.
Nun wissen wir seit Jahren, dass weder die zurückliegende, noch die amtierende Bundesregierung mit exakten Zahlen zu den Migrationskosten herausgerückt ist. Es werden zwar Summen genannt, aber sie geben keinen Einblick in die Zusammensetzung der Gesamtkosten, zu denen selbstverständlich auch der bürokratische Aufwand gehört. Es ist deshalb davon auszugehen, dass man mit einer Summe von ca. 100 Mrd. nicht falsch liegt.
Selbstverständlich wäre eine solche Summe durchaus geeignet, die sozialen Standards für die Bevölkerung deutlich zu verbessern.

Amlinger meint an einer Stelle, es sei ihnen in ihren Interviews oft die Fantasie begegnet, andersartiges Leben brutal aus dem eigenen Umfeld zu entfernen.
Wo wohnen Sie denn gnädige Frau?, möchte man fragen. In welchem Migrationsbrennpunkt sind Sie denn zu Hause? Fragen sie doch mal einige (weniger wohlhabende) Anwohner solcher Viertel nach ihren Befindlichkeiten, so sie nicht der Meinung sind, es lohne kein Austausch mit Faschisten!
Es gebe da ein lustvolles Moment, anderen Leid zuzufügen, um selbst nicht mehr leiden zu müssen. Da lässt die Psychoanalyse freundlich grüßen und im fernen Dunst ist die Rampe von Auschwitz schemenhaft zu erkennen.

Ein kollektives Gefühl befreiten Lebens habe sich breit gemacht. Es gebe einen Hass auf Menschen, die als leistungsschwach wahrgenommen werden.
Auch das ist eine interessante Sicht, denn ein nicht geringer Teil des aktuellen Problems ist eher dort begründet, wo keineswegs leistungsschwache Migranten die Ungläubigen messern und ihre Huris vergewaltigen, was in einer nicht geringen Anzahl der Fälle die Psychoanalyse auf den Plan gerufen hat, die nicht immer, aber in überraschend häufigen Fällen, eine massive neurotische Störung unterstellte, was temporäre Unterbringung in der Psychiatrie zur Folge hat, gewissermaßen als Alternative zum Gefängnis zwecks Verschleierung das wahren Ursachen.
Die dortigen Tageskosten, umgesetzt in eine Gehaltssumme, machen einen zu kurz gekommenen Faschisten schlagartig wohlhabend, womit dieser wiederum nach vorliegender Theorie heilbar sein könnte.

Der „vereitelte Lebenswille“ und die Gewaltfantasien

Die destruktiven Fantasien richten sich gegen eine Leistungsnorm, der man selbst nicht entspreche.
Was daran faschistisch sei, will Der Spiegel wissen und erfährt, dass sich die befragten Menschen selbst nicht als Faschisten sähen, aber das faschistische Moment liege darin, dass sie Gewalt nicht nur lustvoll bejahen, sondern das Gefühl haben, dass die Zerstörung fremden Lebens damit einhergehe, dass es ihnen (dadurch) selber besser gehe. Erich Fromm habe den Begriff des „vereitelten Lebens“ geprägt. Das Gefühl, dass das Leben der anderen auf meine Kosten geht, lässt den Wunsch entstehen, Blockaden zu beseitigen.

Halten wir also fest:
Die Migrationskritiker bejahen lustvoll die Gewalt und sinnen auf die Zerstörung fremden Lebens, damit es ihnen selbst besser geht.
Eine rationale Kritik kann und darf es in diesem Zusammenhang nicht geben!
Viele der interviewten Personen seien auffallend erfolgsbetont gewesen und fühlten sich in ihrem Ehrgeiz blockiert, etwa von Diversity-Programmen.
Wir dachten aber doch gerade, die Faschisten seien eher die zu kurz gekommenen und jetzt sorgt ein Diversity-Projekt bei karrièrebewussten Leuten für faschistische Anwandlungen, weil sie auf das Recht des Stärkeren pochen?
Der demokratische Faschismus strebe einen entfesselten Kapitalismus an, wirft Der Spiegel ein und Nachtwey meint, die faschistische Version der Freiheit laute, die Freiheit zu dominieren und zu herrschen.
Ja,- aber wer dominiert sie denn, wenn nicht unsere Qualitätsmedien mit ihrer Staatspropaganda?

Amlinger sagt hierzu, dass destruktive Personen alles aus dem Weg räumen wollen, was sie behindere. Einige Klimaaktivisten, die sich festgeklebt hätten, seien brutal bedroht worden und das sei in den Interviews bejubelt worden.

Nun ja,- Nötigung wird in einem Rechtsstaat normalerweise mit Gefängnis bestraft und einige Leute sind wohl nicht rechtzeitig zur Arbeit gekommen, wobei der Lohnausfall (Arbeitnehmer wissen das) bei ihnen hängen bleibt. Da kann der Ton durchaus grob werden.

Das Paradox der liberalen Gängelung

Zentral sei in den Interviews gewesen, dass die Leute sich bevormundet fühlen und es sei paradox, dass der Liberalismus heute als autoritär und bevormundend empfunden werde, so Der Spiegel, aber hier irrt er fundamental, denn es ist nicht der Liberalismus eines angestrebt herrschaftsfreien Diskurses, der so empfunden wird, sondern der vermeintliche Liberalismus der angesagten Eliten.
Immerhin wird ihnen konstatiert, dass sie es ein bisschen an Empathie mangeln lassen.
Man könne, so Nachtwey, heute halt nicht mehr so reden wie früher, wo ihm sein Großvater noch antisemitische Witze erzählt habe.

Nachtwey scheint nicht zu wissen, dass die besten Judenwitze von den Juden selbst erzählt werden, wobei man es natürlich auch belassen sollte!
Es sei der moralische Fortschritt, der Spannungen erzeuge und so erhielte man halt an jeder Ecke einige Ratschläge. So einfach ist das also mit der Moral!
Menschen würden das gelegentlich als symbolische Herrschaft empfinden. Dazu komme eine Vielzahl von Gesetzen, die „den Alltag verregnen“.
Das sei eine paradoxe Nebenfolge des Liberalismus, weil viel mehr Einspruchsmöglichkeiten berücksichtigt werden. Ja wo denn?
Durch Umweltauflagen, Schutzvorschriften und Minderheitenrechte, eben weil die Gesellschaft inklusiv sei, fühle man sich exkludiert oder gegängelt.

Hier offenbart sich ein bemerkenswerter soziologischer Höhenflug. Der liberalen Moderne sei nicht nur ihr Fortschrittsversprechen abhandengekommen, sondern auch ihr Leitwort, die Selbstbestimmung. Das Gefühl von Fremdbestimmtheit wachse. Das sei ein Erfolgsparadox liberalen Fortschritts, eine Tragödie, die sich aus der Vernunftlogik der Moderne ergebe.

Also jetzt ganz langsam zum Mitschreiben:
Das Gefühl der Gängelung ist das tragische Missverständnis einer komplexeren freiheitlich-liberalen Entwicklung, die uns mehr Rechte beschert und moralisch umstrittene Alltagspraktiken deutlich macht. Ist also das Gefühl der Fremdbestimmtheit nur eine fixe Idee von Kleingeistern, die nicht begreifen wollen, dass es in der modernen liberalen Gesellschaft mehr Einschränkungen zu unser aller Vorteil geben muss oder kann es sein, dass die Gesellschaft nur in einem ökonomischen Sinne neoliberal, jedoch nicht freiheitlich-liberal ist? Das sollten die beiden Autoren mal dem Verband der Mittelstandsunternehmer erzählen, sind die doch gerade bemüht, sich von solcherlei pseudo-liberalen Segnungen in Form unzähliger Gängelungen, die ihren Ursprung meist in Brüssel haben, zu befreien.

Die Frage nach dem adäquaten Antifaschismus

Der Spiegel denkt aber schon weiter und will wissen, ob es angesichts dieses beschriebenen demokratischen Faschismus nicht auch einen adäquaten Antifaschismus geben müsse, also offenbar nicht nur die Freunde von der Antifa.
Unbedingt meint Nachtwey, aber er wisse noch nicht wie dieser aussehen könne. Er und Amlinger wüssten halt nur, was nicht funktioniere, wie etwa konventionelle politische Aufklärung oder Faktenchecks.

Auch an dieser Stelle lohnt erneut ein kurzes Verweilen, wüssten wir doch zu gerne, was eine unkonventionelle politische Aufklärung ist oder sein könnte, also möglichst faktenfrei oder so ähnlich.
Der Faschismus sei halt irrational, weshalb Argumente an ihm vorbeigingen. Ihre Interview-Partner hätten nicht selten mit Zynismus auf Fakten reagiert. Wer glaube, übervorteilt zu werden, sei nur schwer davon abzubringen.
Könnte es sein, dass hier von einer Übervorteilung gar keine Rede sein kann, sondern eher von einer anmaßenden Überrumpelungsstrategie durch selbst ernannte Eliten?

Ob denn die Linke den Aufstieg der rechten verursacht habe, will Der Spiegel wissen.
Nachtwey meint, dass es (auch) an den Linken viel Kritik gebe, aber dieser Vorwurf stimme nicht.
Er habe stets eher kritisch auf den identitär-politischen Aktivismus geschaut. Jetzt sei er ein entschiedener Verteidiger auch wegen den genüsslich rückschrittlichen Kritikern.

Ob es klug sei, als liberaldemokratische Regierung eine Brandmauer gegen die AfD zu bauen und ein primär defensives Programm zu vertreten, das da laute, die Rechtsextremen zu verhindern?, so Der Spiegel.
Da fragen wir uns dann mal ganz vorsichtig, wie ein alternatives Verhinderungsprogramm aussehen könnte und ob wir das bisher angeblich defensive System mit seinen Meldestellen, Hausdurchsuchungen und seinen medialen Denunziations-Plattformen nicht vielleicht völlig falsch verstanden haben?

Auf positive Visionen zu verzichten sei niemals gut, meint Nachtwey. Die Demokratie brauche den Horizont einer offenen Zukunft. Die Mythen der Rechten fänden nicht zuletzt deshalb so viel Resonanz, weil sich der Mythos des Liberalismus erschöpft habe.

Gescheiterte Revolutionen?

Ob die Vergangenheit mit Macht zurückkehre, weil die Gegenwart zukunftslos erscheint, fragt Der Spiegel.

An dieser Stelle bemüht Nachtwey immerhin Walter Benjamin mit seinem Zitat, dass hinter jedem Faschismus eine gescheiterte Revolution stehe und wir hätten an dieser Stelle gerne zugestimmt, wenn er (also Nachtwey) hierfür nicht stellvertretend Occupy, Black Lives Matter, Friday For Future oder Me Too bemüht hätte, deren Scheitern angeblich den Faschismus angetrieben habe.
Soll heißen: Die Änderung der Besitzverhältnisse gegen geltendes Recht, Ausstieg aus sicherer Energiezufuhr als Projekt, die Favorisierung des Schwarzseins als Antirassismus, ein nötigender Kindergarten und die Kriminalisierung der männlichen Sexualität als immanent gewalttätig, wären die Banner genau der Verheißung gewesen, die uns vor dem Schlimmsten hätten bewahren können, dem wir aktuell zielgerichtet entgegen gehen,- nein, marschieren natürlich.