Beschneidung:
Ärzte raten in einer neuen Leitlinie ab
Im Gegensatz zur weiblichen Genitalverstümmelung wird die männliche nach wie vor toleriert oder gar gutgeheißen. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung ist nun eine neue ärztliche Leitlinie.
WAZ: Neue Leitlinie: Ärzte raten von Jungenbeschneidung ab
Katastrophal gegenüber den Menschenrechten (Recht auf Unversehrtheit des Körpers) und die Gleichberechtigung ist das seit 2012 gültige Jungenbeschneidungsgesetz. Während die Beschneidung von Mädchen unter Strafe steht, ist die Beschneidung von Jungs ausdrücklich erlaubt.
(…) Nun haben sechs deutsche Ärzteverbände die aktuelle Forschung zusammengetragen und eine neue ärztliche Leitlinie zu Vorhautverengungen (Phimose) herausgebracht. Sie empfiehlt, dass eine Operation nicht voreilig oder vorbeugend durchgeführt werden sollte. Aus Sicht der Kritiker müsse damit das Jungenbeschneidungsgesetz, das seit Ende 2012 in Deutschland auch eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung erlaubt (§1631d Bürgerliches Gesetzbuch), hinterfragt werden. (…)
Beschneidung bei Mädchen verboten, bei Jungs erlaubt
Die männliche Beschneidung ist im BGB ausdrücklich erlaubt, die weibliche Beschneidung im StGB strafbewährt verboten.
BGB – § 1631d |
StGB – § 226a |
Beschneidung des männlichen Kindes |
Verstümmelung weiblicher Genitalien |
(1) Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. 2Dies gilt nicht, wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird.
(2) In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar befähigt sind. |
(1) Wer die äußeren Genitalien einer weiblichen Person verstümmelt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.
(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. |
Im Gesetzestext des BGB spricht man irreal von „Personensorge“. Bei der weiblichen Genitalverstümmelung spricht man es korrekt als Verstümmelung an. Eine solche unterschiedliche Wahrnehmung kann nur ein „Patriarchat“ hervorbringen.
Die Vorhaut ist kein unbedeutendes Stück Haut
Wie es dazu kommen konnte, dass so große Unterschiede in der Wahrnehmung einer Verstümmelung zwischen den Geschlechtern existieren, ist am leichtesten religiös zu erklären. Sowohl im Islam als auch im Judentum ist die Beschneidung geregelt. (Thora, Altes Testament und Hadithen)
Andere Rechtfertigungsargumente (Hygiene, …) sind praktisch irrelevant gegenüber des Rechts auf Unversehrtheit des Körpers und den körperlichen Nachteilen durch die Beschneidung.
Dass die männliche Vorhaut nur ein unbedeutendes, Probleme verursachendes Stück Haut sei, sieht man an einigen deutschen Kinderkliniken schon länger kritisch (…)
In der neuen Phimoseleitlinie betonen die Autoren die Funktion der Vorhaut. Laut einer Studie des US-Mediziners und Beschneidungskritikers Morris L. Sorrells ist sie der sensibelste Teil des Organs. Stark durchblutet spielt sie für das Erleben sexueller Empfindung eine wichtige Rolle und schützt die Eichel wie das Lid das Auge. (…)
Es gibt unter beschnittenen Männern Fälle, in denen eine Orgasmusunfähigkeit im heterosexuellen Geschlechtsakt durch die Beschneidung hervorgerufen wurde. Dass dieses Thema nicht gerne angesprochen wird, liegt auf der Hand. Welćher Mann erzählt schon gerne, dass er im Geschlechtsakt äußerste Probleme aufgrund seines unsensiblen Penis hat?
Komplikation durch die OP
Die Probleme, die durch die OPs entstehen können, sind ebenfalls nicht zu vernachlässigen. Diese gehen von „geringfügig bis lebensbedrohlich“. In manchen Fällen ging es soweit, dass sogar Penisse amputiert werden mussten.
Welchen Aufschrei dies verursachen würde, wenn ein Mädchen oder eine Frau ähnliche Komplikationen zu erleiden hätte, dürfte auf der Hand liegen. Nicht umsonst ist die rechtliche Unterscheidung der Phänomene so eindeutig. Zwischen Strafandrohung und expliziter Erlaubnis liegen nicht nur rechtlich, sondern auch moralisch, ethisch Welten.
Die Waz nennt weitere deutliche Komplikationen:
(…) Wie Zöllner nennt auch die Phimoseleitlinie Nachblutungen als häufigste Komplikation. Erwähnt werden auch Durchblutungsstörungen, Schrumpfungsprozesse, störende Vernarbungen, nachzuoperierende Harnröhrenverengungen. Letztere gehäuft bei Neugeborenen. Hinzu kämen mögliche Traumatisierungen körperlicher und seelischer Natur. (…)
Es bleibt zu hoffen, dass die Leitlinie Schule macht. Es wäre zu wünschen, wenn die männliche Beschneidung ebenfalls Einzug in das Strafgesetzbuch finden würde. Eine Verstümmelung ist eine Verstümmelung, auch wenn sie „nur“ den männlichen Teil der Bevölkerung treffen kann.
Die Argumentation der Religionsfreiheit hat gegenüber dem Recht auf Unversehrtheit des Körpers zurückzustehen. Es wäre zu wünschen, wenn mehr Männer über entstandene Komplikationen durch die Beschneidung berichten würden. Dies würde helfen, die Thematik sachgerecht in der Öffentlichkeit zu diskutieren.