NF-Radio
Pink Floyd – The Wall
1979 – was für ein Jahr! Ich wurde endlich volljährig, und im gleichen Jahr kam eine Doppel-LP heraus, die für mich in vielerlei Hinsicht wie eine Offenbarung war: The Wall von Pink Floyd. Ein Album, das meinem damaligen Grundgefühl Ausdruck verlieh, einem Gefühl von Atemnot in der geistigen Enge einer Kleinstadt im Zonenrandgebiet, wo jene soziale Kontrolle herrschte, von der in Another Brick In The Wall (part 2), die Rede ist:
We don’t need no education
We don’t need no thought control.
Das von Roger Waters konzipierte Album trägt stark autobiographische Züge. Waters wuchs ohne Vater auf, weil sein Vater im zweiten Weltkrieg starb, ein Trauma, das ihn derart beschäftigte, dass er das nächste Album, The Final Cut, ausschließlich diesem Thema widmete. Ein Trauma, das auch in The Wall vor allem in dem Lied Another Brick In The Wall (part 1) behandelt wird:
Daddy’s flown across the ocean
Leaving just a memory
A snapshot in the family album
Daddy what else did you leave for me?
Die männliche Hauptfigur in der Geschichte von The Wall leidet als Junge unter einer überbehütenden Mutter, die ihn mit ihrer Fürsorge erdrückt, wie wir im Lied Mother verfolgen können:
Hush now baby don’t you cry
Mama’s gonna make all of your nightmares come true
Mama’s gonna put all of her fears into you
Mama’s gonna keep you right here under her wing
she won’t let you fly but she might let you sing
Mit dieser Haltung verhindert die Mutter natürlich auch, dass der Junge mit dem anderen Geschlecht vertraut wird und eine normale Beziehung zu Frauen entwickelt:
Mama’s gonna check out all your girl friends for you
Mama won’t let anyone dirty get through
Mama’s gonna wait up till you get in
Mama will always find out where you’ve been
Mamma’s gonna keep baby healthy and clean
Ooooh Babe Ooooh Babe Ooooh Babe
You’ll always be a baby to me
Folgerichtig sucht der junge Mann als Erwachsener in dem Lied Young Lust genau das, vor dem ihn die Mutter gewarnt hat:
Ooooooooh I need a dirty woman
Ooooooooh I need a dirty girl.
Ebenso folgerichtig wurde diese Figur in Alan Parkers Verfilmung von The Wall durch Gerald Scarfes Zeichnungen zu einer Gottesanbeterin, einer Spezies, bei der ja bekanntlich das Weibchen das Männchen noch während der Begattung frisst.
In der Gerichtsverhandlung gegen Ende des Albums (The Trial) treten all diejenigen noch einmal auf, die ihren Teil zur Mauer beigetragen haben, die um den Protagonisten errichtet wurde, eine Mauer, hinter der er Stück für Stück erstarrt ist (Confortably Numb). Während die Mutter ihn wieder zu infantilisieren versucht, lässt die Ehefrau ihrem Hass freien Lauf, verleiht ihrer Hoffnung Ausdruck, der Schlüssel zu seinem Gefängnis werde fortgeworfen, und wenn man sie nur fünf Minuten mit ihm allein ließe, dann …
Die psychologischen Zusammenhänge dieser Biografie, die geradezu unausweichlich scheinenden Folgen der Kindheitserlebnisse der Hauptfigur haben mich schon als Achtzehnjähriger fasziniert.
Die fatalen Auswirkungen einer vaterlosen Gesellschaft, wie sie hier anhand eines Einzelschicksals beschrieben wird, kann man heutzutage an nichts deutlicher ablesen als an Erwachsenen, die so unselbstständig und verunsichert sind, dass sie nicht den kleinsten Widerspruch ertragen, sondern sich in safe spaces vor anderen Ansichten verstecken müssen. Weil ihnen niemand beigebracht hat, auf eigenen Beinen zu stehen. Geschweige denn zu fliegen.
Pink Floyd – Mother
Pink Floyd – Young Lust
Die vorgestellten Lieder des nf-Radios:
Die Playlist vom NF-Radio gibt es hier:
Hier kann man auch weitere Lieder für die Liste vorschlagen.