Spiegel: „Kanada sollte unser Vorbild sein“
Eine Stellungnahme
Der „Spiegel“ Nr. 42 vom 10.10.2020 veröffentlichte auf der Seite 94 unter der Überschrift „Kanada sollte unser Vorbild sein“, ein Interview mit dem Politikwissenschaftler Gerald Knaus, der die Bundesregierung in Migrationsfragen berät.
Er gilt als einer der Erfinder des EU-Türkei-Deals und will irreguläre Migration u.a. dadurch verhindern, indem Europa mehr Schutzbedürftige direkt aufnimmt.
Versuch einer Stellungnahme
von Michael Mansion
Interessant ist hier die Wortwahl des „Spiegel“, wenn er nicht von illegaler, sondern von irregulärer Migration spricht und die Migranten (grundsätzlich) als Schutzbedürftige bezeichnet.
Das schafft vorab ein gewisses Selbstverständnis, weil irregulär nur eine formaljuristische Kategorie ist, der Begriff der Illegalität jedoch einen strafbaren Tatbestand impliziert.
Dass der Migrant in jedem Falle schutzbedürftig ist, schließt zudem vorab jede Illegalität (moralisch) aus, womit sich der Gedankenkreis, dass Europa grundsätzlich mehr „Schutzbedürftige“ aufnehmen soll schließt.
Knaus sei – heißt es in dem Beitrag – für den EU-Türkei-Deal von Linken und Rechten kritisiert worden.
Hierzu wäre anzumerken, dass er von den sog. Linken ja nicht deshalb kritisiert wurde, weil hier ein Deal mit einem antidemokratischen Islamisten (Erdogan) in die Wege geleitet wurde, sondern weil man dort gar keinen Deal wollte und längst die Parole no borders—no nations herausgegeben hatte.
Derweil hatte ein Teil der sog. Rechten, also der Konservativen, längst begriffen, dass ihre Chefin zu hoch gepokert hatte, weil wir das nämlich nicht schaffen werden, wie allenthalben offensichtlich wird.
Der „Spiegel“ verweist hier auf das Buch von Gerald Knaus mit dem Titel „Welche Grenzen brauchen wir“ und spielt dabei auf die Uneinigkeit innerhalb der EU zur sog. Flüchtlingsfrage an.
Der Befragte gibt hierzu eine interessante Antwort, denn egal ob regulär oder irregulär, kämen aktuell doch nicht mehr Menschen aus Afrika nach Europa als vor zwei Jahrzehnten. Das Gerede über Migrationswellen, Ströme und Fluten könne er deshalb nicht verstehen.
Alle apokalyptischen Bilder und Mythen entsprächen nicht der Realität.
Da staunt der geneigte Leser solcher Zeilen, gaben doch erst vor ein paar Wochen sowohl Herr Zimiak von der CDU als auch Herr Söder von der CSU, im Zusammenhang mit der Übernahme der Moria-Flüchtlinge öffentlich zu, es kämen ohnehin täglich zwischen 300 und 400 Personen „zu uns“. Das sind dann ja schon mal so etwa 10 500 pro Monat, die untergebracht und versorgt werden müssen. Auf das Jahr gerechnet sind es 126 000, also die Einwohnerschaft einer mittelgroßen Stadt und irgendwie ist das dann kein Mythos, sondern das, was man gewöhnlich Realität nennt.
Es ist aber auch nicht dieser Mythos der Wirklichkeit, der ihn so stört, sondern ihn stört das Argument, dass Grenzschützer imstande sein könnten, eine vermeintlich irreguläre Migration zu reduzieren, denn lt. EU-Recht dürften die das ja gar nicht, weil dann, wenn sie sich an EU-Recht halten, sie eine Migration grundsätzlich nicht verhindern können.
Das aber könnten letztendlich nur gewalttätige Grenzschützer wie ehemals an der Berliner Mauer.
Das EU-Recht verbiete grundsätzlich das „Zurückstoßen“ von Asylbewerbern.
Nimmt man das ernst, dann bedeutet es, dass jeder Asylbewerber zunächst einmal eingelassen werden muss und es bedeutet dann zugleich auch, dass ein nationaler Grenzschutz eigentlich via EU abgeschafft wurde, weil es ja nichts mehr zu schützen gibt, wenn im Grunde jeder zunächst mal Asyl beantragen und dabei nicht „zurückgestoßen“ werden darf.
Knaus meint dazu, die Frage sei ja nicht, ob wir Grenzen schützen können. Vielmehr sei das eine Debatte über uns selbst und nicht über Naturkräfte im Rest der Welt.
An dieser Stelle holen wir tief Luft, denn da hat er natürlich recht und trifft uns an einer empfindlichen Stelle, weil wir die dringend nötige Debatte über uns selbst und damit über unsere Zukunft ja tunlichst nicht führen und damit natürlich auch nicht über die Frage, ob eine Eigenstaatlichkeit noch evident ist, wenn ein Staat seine Grenzen nicht mehr schützen will.
Interessant ist auch der Verweis auf Naturkatastrophen, dachten wir doch immer, wir hätten es bei einer Mehrzahl der Migranten mit Leuten aus primär religiös formierten Bürgerkriegsländern zu tun und solche Kriege hielten wir bislang nicht für Naturkatastrophen, sondern für durchaus menschengemacht.
Der „Spiegel“ sieht den Flüchtlingsschutz in den letzten Jahren im Zustand einer Erosion begriffen.
Italien lasse Seenotretter nicht in ihre Häfen und an der Grenze zur Türkei habe man wohl auch auf Flüchtlinge geschossen.
Wir erinnern uns:
Italien hat es nicht mehr hingenommen, dass dubiose NGOs sich im Schleppergeschäft engagieren, dies als Akt der Humanität verkaufen, die Medien für sich einspannen und damit der italienischen Regierung ein Problem aufzubürden, das nicht zu bewältigen ist.
Was die Schüsse an der griechisch-türkischen Grenze angeht, so waren diesen massive physische Angriffe von sog. Flüchtlingen auf die Sicherheitskräfte vorausgegangen.
Nicht überall auf der Welt müssen sich Sicherheitskräfte erst lebensgefährlich verletzen lassen, bevor man ihnen ein Recht zu angemessener Gegenwehr einräumt.
Ob denn die Mehrheit der Europäer mittlerweile bereit sei, die Grenzen mit allen Mitteln gegen Migranten zu verteidigen, will der Spiegel von Knaus wissen; aber dieser weiß zu präzisieren, denn es seien Rechtspopulisten wie Viktor Orban und Matteo Salvini, die den Menschen erfolgreich eingeredet hätten, dass Migrationskontrolle nur mit Gewalt möglich sei, aber das stimme ja nicht.
Wir verweilen hier einen Moment bei dem Gedanken, ob bei einer wirksamen Grenzkontrolle bzw. ihrer Missachtung auch Gewalt in Anwendung zu bringen ist und was wir dann unter einer angemessenen Migrationskontrolle zu verstehen haben.
Ob denn grundsätzlich offene (also garkeine) Grenzen eine Lösung sein könnten, will der „Spiegel“ wissen.
Hier meldet sich der Politikwissenschaftler Gerald Knaus mit dem Einwand zu Wort, keine Demokratie habe offene Grenzen für jeden und „no borders“ sei schließlich nur ein Slogan.
Nun ja,–wir dachten eigentlich, es sei so etwas wie ein Schlachtruf, aber Knaus meint, es ginge ja um unmenschliche Grenzen, deren Abschaffung ein realistisches Ziel sein müsse. Es gehe um Grenzen, an denen niemand ums Leben komme, die also durchlässig seien.
Der Autor dieser Zeilen wollte in jungen Jahren mal nach Kanada auswandern, aber die brauchten damals gerade Flugzeugmechaniker und damit konnte ich nicht dienen, weshalb die unmenschliche kanadische Grausamkeit mir ein besseres Leben vorenthielt.
Könnte es sein, dass die „Durchlässigkeit“ von der Knaus spricht, kein belastbares historisches Aequivalent hat und bei Vermeidung aller Unmenschlichkeit der autochthonen Bevölkerung etwas aufbürdet, was diese mehrheitlich nicht will?
Darum scheint es Gerald Knaus aber nicht zu gehen, denn er befürwortet schnelle und gerechte Asylverfahren schon im Mittelmeer (?), wo die abzuweisen seien, denen kein Asyl zustehe. Sie seien in ihr Herkunfts- oder in ein sicheres Transitland zu überführen.
Nun ja,—denkt man still, das wird ein bisschen schwierig, wenn die (meist) Herren zuvor ihre Ausweispapiere entsorgt haben und nur ausgewiesene Spezialisten orientalischer oder afrikanischer Idiome ungefähr erkennen können, woher jemand (wirklich) kommt.
Das alles ist lt. Gerald Knaus aber zu schaffen, wenn Demokratien wie Deutschland mehr Flüchtlinge durch Neuansiedlung direkt nach Europa (im Klartext nach Deutschland) bringen, bevor sie sich in die lebensgefährlichen Boote der Schlepper setzen.
Das heißt bei genaueren Hinhören, dass Deutschland (aus welchem zwingenden Grund eigentlich?) Neuansiedlungen mit Flüchtlingen (wie zuvor angemerkt in der Größe einer mittleren Stadt) betreiben soll, indem diese, zwecks Vermeidung unnötiger Gefahren, am besten gleich im Herkunftsland abgeholt werden.
Knaus ist überzeugt, dass die meisten Europäer ein solches System der „humanen Kontrolle“ unterstützen würden.
Dass die meisten EU-Länder daran scheitern, abgelehnte Asylbewerber abzuschieben, sieht Knaus entspannt, denn diese gelängen ja immerhin in die Balkanländer und in die Ukraine, weil – so die Erklärung- die EU nämlich diesen Staaten das visafreie Reisen angeboten habe.
Man solle – so meint er – Tunesien und Marokko das Gleiche anbieten, gewissermaßen als Liberalisierungsplan im Gegenzug für eine Rücknahme-Bereitschaft und den Aufbau funktionierender Asylsysteme.
Haben wir das richtig verstanden? Der Deal lautet, Visafreiheit, bei gleichzeitiger Bereitschaft, abgelehnte Asylbewerber zu übernehmen und zugleich ein funktionierendes Asylsystem zu installieren, wenn möglich unter deutscher Anleitung.
Visafreien Reisen wäre – so Knaus – bei den Marokkanern wohl so beliebt, dass deren Regierung einen echten Anreiz hätte, bei Abschiebungen zu kooperieren.
Die Bürger verreisen (in die EU) und ihre korrupten Eliten geraten dadurch unter Zugzwang und kooperieren deshalb freundlichst in Sachen Abschiebungen.
Hier merkt der „Spiegel“ an, ein ähnlich gearteter Deal sei mit der Türkei gescheitert, aber Knaus meint hierzu, dass die Zahl der Menschen, die in der Ägäis ertrinken, dramatisch zurückgegangen sei und ebenso die Anzahl derer, die mit Schmugglern (?) über das Meer gekommen seien.
Zudem habe die EU-Hilfe die Situation für 3 Millionen Syrer in der Türkei verbessert.
Angesprochen auf die erbärmlichen Bedingungen für Zehntausende von Flüchtlingen auf den griechischen Inseln und den Brand auf Lesbos meint Knaus, dort sei die Umsetzung des EU-Türkei-Abkommens von Beginn an nicht ernst genommen worden. Hier habe der politische Wille gefehlt. Die schlechten Zustände sollten abschreckend wirken, so dass dadurch weniger Menschen kommen, habe man wohl gehofft. Seit dem März 2020 sei klar, dass niemand zurückgeschickt werde, weil die Türkei das Abkommen ausgesetzt habe und trotzdem würden Leute auf den Inseln festgehalten. Es drohten weitere Morias im Mittelmeer.
Die EU müsse weiter Geld für die Versorgung von Flüchtlingen in der Türkei und im Libanon bereitstellen. Es müsse möglich sein, auf den Inseln binnen Wochen faire Asylverfahren durchzuführen, etwa durch eine Kooperation mit Asylbehörden wie dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Wer keinen Schutz benötige, werde zurückgeschickt.
Dass die Bamf derzeit auf 200 000 noch nicht bearbeiteten Asylanträgen sitzt, ist Herrn Knaus irgendwie entgangen und so eine Bamf-Dependance auf einer griechischen Insel ist eine recht romantische Vorstellung——mal vorsichtig angemerkt.
Andere EU-Staaten sollten z.B. Griechenland helfen, indem sie anerkannte Flüchtlinge (wir dachten doch, alle seien Schutzsuchende) vom Festland umverteilen, so wie es dort 2016/17 schon mal geschehen sei.
Da gibt der „Spiegel“ jedoch zu bedenken, dass sich die EU weitestgehend vom Ziel einer Verteilung von Flüchtlingen auf EU-Staaten verabschiedet habe.
Wenn das so sei – meint Knaus – müsse Deutschland eine Koalition aus Staaten schmieden, die anders handeln. Eine Koalition der Willigen—gewissermaßen.
In Evian sei die Staatengemeinschaft 1938 zusammengekommen, um 500 000 Juden aus dem Dritten Reich zu retten. Das habe in einem Desaster geendet, sei jedoch 1979 in Genf, angesichts der schrecklichen Zustände im südchinesischen Meer anders gelaufen, weshalb wir uns an Genf orientieren sollten.
Auf den Einwand des „Spiegel“ es seien aktuell etwa 80 Millionen Menschen auf der Flucht, meint Knaus, das führe in die Irre, denn die meisten dieser 80 Millionen hätten ihre Länder nie verlassen.
Zähle man die Schutzbedürftigen, die in den letzten 10 Jahren ihre Länder verlassen hätten, so käme man auf etwa 15 Millionen.
Die Flüchtlingskrise sei lösbar und die Europäer sollten sich ein Beispiel an den Kanadiern nehmen. Dort nehme man jährlich 30 000 Flüchtlinge durch Resettlement auf. Dazu kämen 20 000 durch Patenschaften von Bürgern ins Land und das seien 0,05{18423f3510016d69a38748c31b9d3c63e55e56caeb597c341a8ea176480d5299} der kanadischen Bevölkerung. Auf Deutschland bezogen ergäbe das 60 000 Neuansiedlungen. Davon 40 000 durch Patenschaften.
So sei private Hilfsbereitschaft mit einer Kontrolle durch den Staat zu versöhnen.
Die Flüchtlinge wüssten sofort, dass sie bleiben dürften und dadurch würde auch die Integration viel besser klappen.
Hier taucht die bescheidene Frage auf, wie weit das Patenschaftsmodell geht, wenn etwa angedacht sein sollte, dass Patenschaften schon aufgrund des Wohnungsmarktes zu Adoptionen werden. Man weiß ja nie?
Zu finanzieren sei das Projekt aus einem EU-Fonds, in den alle 27 Staaten einzahlen. Wirklich?
Der kanadische Staat lege eine jährliche Obergrenze für die Patenschaften fest und prüfe die Schutzbedürftigkeit der Bewerber oder ob sie eine Gefahr darstellen.
Kanzlerin Merkel und Justin Trudeau sollten einen gemeinsamen Vorstoß in diese Richtung wagen.
Die USA könnten dann unter einem Präsidenten Joe Biden (das hofft Knaus) einer solchen Initiative beitreten, denn Biden habe schon gesagt, die USA würden dann jährlich 120 000 Flüchtlinge aufnehmen, was ja weniger wären als die, welche ohnehin nach Deutschland migrieren.
Er (Knaus) habe mit Bidens Mitarbeitern und mit den Kanadiern bereits gesprochen. Sie seien nicht abgeneigt und so könnten pro Jahr 300 000 besonders schutzbedürftige Flüchtlinge ausgeflogen werden.
Die Frage ist aber auch hier, ob sie gleich im Herkunftsland abgeholt werden?
Deutschland habe mit der Bamf die größte Asylbehörde der Welt geschaffen. Dort habe man gelernt, schnelle und faire Asylverfahren durchzuführen (siehe 200 000 noch nicht bearbeitete Fälle). Das solle exportiert werden, wenn denn die Flüchtlingskonvention in 30 Jahren noch eine Rolle spielen soll.
Knaus sei – meint der „Spiegel“ in seinem Bestreben um eine liberale Asylpolitik wie Sisyphos, aber der sagt dazu, er sei in Österreich aufgewachsen, als es dort noch Grenzkontrollen für Deutschland gegeben habe, die heute unsichtbar geworden seien. In Berlin sei 1989 eine tödliche Grenze verschwunden und man habe 2015 gelernt, dass Deutschland rund eine Million Menschen aufnehmen kann.
Fünf Jahre später sei die verantwortliche Regierungschefin die beliebteste in Europa. Für eine humane Grenze zu kämpfen sei nie vergebens.
Wenn man bedenkt, dass Gerald Knaus nicht nur beratend für die Bundesregierung tätig, sondern offensichtlich auch als Emissär in den USA und Kanada unterwegs ist, so ist seine offensichtlich ungetrübte Einstellung zu Merkels „Wir schaffen das“ immerhin bemerkenswert.
Seine sicher nicht nur auf die genannten Länder beschränkte Reisetätigkeit hätte ihm spätestens in Frankreich oder auch in Schweden oder Belgien vermitteln müssen, dass es in Europa kein befriedigend geglücktes Integrationsprojekt muslimischer Migranten gibt.
Sichtbar ist allenthalben und selbstverständlich auch in einigen großen deutschen Städten, dass die Muslime Parallelgesellschaften begründen, welche, tribal vernetzt und in Clanstrukturen vormodern organisiert, eine auf ein anders Recht (Sharia) begründete Gesellschaftlichkeit leben, die den Kontakt zur säkular demokratisch organisierten Aufnahmegesellschaft vermeidet und ihr häufig feindlich begegnet.
Dies nicht zu erkennen oder nicht erkennen zu wollen, ist für einen Politikwissenschaftler fatal und er muss sich mit dem Vorwurf von Gefälligkeitsanalysen und Gutachten konfrontieren lassen.
Ein solcher Vorwurf ist in einem gewissen Sinne entgegenkommend, weil er zumindest keine nachgerade skandalöse Unwissenheit unterstellt.