Peter Handke bin I
von Bernhard Lassahn
von Bernhard Lassahn
Ich war mit Ludwig Lugmeier im Kino, in dem Dokumentarfilm über Peter Handke – wie bitte? Was soll das denn? Würden wir da etwa einen Showdown virtuoser Formulierungskünstler erleben, als würde ein Herausforderer wie Michael Krüger zum Kampf der Wortgiganten gegen Peter Handke antreten und sich einen Show-Kampf liefern, bei dem sich selbst in der neunten Runde nur ein knapper Sieg nach Punkten abzeichnet und bislang noch keiner den anderen k.o.-quatschen konnte, dass er wortlos bis Neun auf die Bretter gehen musste?
Die Eintrittskarte ließ nichts Gutes ahnen. Der vollständige Titel „Peter Handke – bin im Wald, kann sein, dass ich mich verspäte“, war auf der Eintrittskarte nicht in voller Länge ausgedruckt, der ganze Titel passte nicht in eine Zeile und mitten in „bin im Wald“ hörte die Zeile auf und ließ nur das i aus dem „im“ zurück, so dass auf der Eintrittskarte der Film auf gut Bayrisch hieß: „Peter Handke bin i“ – und damit zu Befürchtungen Anlass gab, dass wir es wir es mit einer Beweihräucherung zu tun haben würden, die das abgehobene Ego des Großschriftstellers in den Mittelpunkt stellt.
Doch nein, so war es nicht. Es war ein bewegender Film zu der großen Frage: Wie sollen wir leben?
Tatsächlich gelangt wenig von Handkes Privatleben in die Öffentlichkeit. Zwar wusste ich schon, dass er jahrelang allein mit seiner Tochter – wie wir heute sagen würden als „Alleinerziehender“ – gelebt hatte, doch ich hatte es wieder vergessen und war überrascht, Peter Handke als Kinder- und damit auch als Menschenfreund kennen zu lernen. Als Kinderfreund war er bisher kaum aufgefallen, gar als Kinderbuchautor, auch wenn seine Bücher in einer Schriftgröße geliefert werden, die der von Kinderbüchern entspricht. So konnte ich also Handke wiederentdecken als jemanden, für den das Leben mit einem Kind zu einer bedeutenden Selbstverständlichkeit gehört.
Sein Buch mit dem unscheinbaren Titel Kindergeschichte war sein letzter Bestseller gewesen, jedenfalls fand es sich auf entsprechenden Listen – doch das war, lang ist es her, im Jahre 1981, da war er als „Heranwachsender“ mit seinem Kind zusammen.
Peter Handke spricht auch heute noch über sich selbst in der dritten Person, das tut er offenbar gerne, so wie ich es auch gerne getan habe, immer wenn ich als Kinde Indianer gespielt und mich dabei als großer Häuptling Spitze Feder gesehen habe.
Es heißt in der Kindergeschichte:
„Ein Zukunftsgedanke des Heranwachsenden war es, später mit einem Kind zu leben. Dazu gehörte die Vorstellung von einer wortlosen Gemeinschaftlichkeit, von kurzen Blickwechseln, einem Sich-dazu-Hocken, einem unregelmäßigen Scheitel im Haar, eine Nähe und Weite in glücklicher Einheit.“
Schon beim ersten Anblick des Kindes spürt dieser Heranwachsende, dass er nun ein für alle Mal mit dem Kind eine verschworene Gruppe bilden wird, die ihm zur einzig gültige Wirklichkeit wird. Er nimmt es der Mutter übel, dass sie das Berufsleben vorzieht und sich nicht der unbedingten Notwendigkeit stellt und er verachtet all diejenigen, die ihm ein anderes Leben aufreden wollen. Er spürt deutlich, dass er den gesamten Zeitgeist gegen sich hat und dass ihn die Dringlichkeit des Lebens von außerhalb immer wieder herausruft aus der Enge und der Gefangenschaft des Häuslichen mit dem bequemen Glück der Zweisamkeit.
Es ist kein reines Glück. Es ist nicht nur das Anwehen des Paradieses zu spüren, das sowieso nur unauffällig und beiläufig auftritt, es gibt ebenso tiefe Moment des Versagens, des Ungenügens und der Schuld, die so heftig sind, dass er das Gefühlt hat, als würde er – um es ausnahmsweise mit meinen Worten zu sagen – vor der höchstmöglichen Instanz in Ungnade fallen. Oder um es wieder in den Worten von Peter Handke zu sagen, der beschreibt, was ihm widerfährt, als er sein Kind in einem Zornesanfall geschlagen hat.
„Das Entsetzen des Täters war fast gleichzeitig. Er trug das weinende Kind, selber bitter ermangelnd der Tränen, in den Räumen umher, wo überall die Tore des Gerichts offenstanden, mit den schalltoten Hitzestößen der Posaunen …“
Diese Formulierung von den „schalltoten Hitzestößen der Posaunen“, fand ich damals übertrieben, ja geradezu lächerlich, das war 1981, als ich, selber kinderlos, das Buch zum ersten Mal gelesen hatte. Doch womöglich war es gerade diese Übergröße der Formulierung, die bewirkt hatte, dass mir der Wortlaut bis heute in Erinnerung geblieben war.
Weiter heißt es über die erwähnte dritte Person – über den Täter:
„Erstmal sah sich der Erwachsene da als einen schlechten Menschen; nicht bloß ein Bösewicht war er, sondern ein Verworfener; und seine Tat konnte durch keine weltliche Strafe gesühnt werden. Er hatte das einzige zerstört, das ihm je das Hochgefühl von etwas dauerhaft Wirklichem gegeben hatte, das einzige verraten, das er je zu verewigen und zu verherrlichen wünschte. Als Verdammter hockt er sich zu dem Kind und redet es an …“
Ludwig, der selber keine Kinder hat, erzählte mir immer noch beeindruckt vom Film, als wir noch ein wenig im Kinosaal sitzen blieben, dass er vor vielen Jahren einer Frau ins Gesicht geschlagen und das es das Widerwärtigste gewesen wäre, das er jemals getan hätte. Zwar wäre er besoffen gewesen, aber das könne keine Entschuldigung sein. Auch weiß ich von einer Frau, die vor zwanzig Jahren ihren Dreijährigen verprügelt hat, die es immer noch bereut, ihn schon mehrfach um Verzeihung gebeten hat und es immer noch tut. Von einer anderen Frau wiederum, die sich inzwischen in Frömmigkeit geflüchtet hat, weiß ich, dass auch sie eine unselige Zeit mit ihrem Kleinkind hatte und dass sie dann, wie sie es nannte, „den anderen Weg“ gegangen ist.
Der Film löst große Gefühle aus. Das sollte man nicht denken. Man erwartet von Peter Handke, dass er andersgelbe Nudeln in Einzelheiten beschreibt und jedes Blatt, das vom Baum gefallen ist, zweimal umwendet, ehe er wieder beiseitelegt und dass er sich im Kleinen verliert.
Doch er schreibt über die großen Tatsachen des Lebens, die erst erkennbar werden, wenn wir uns ungeschützt ausliefern, wenn das Gerümpel des Vorgestanzten und Vorgemeinten beiseite geräumt ist und die eigengesetzliche Lebenswelt mit seiner ganzen Wucht wirksam werden kann. Dann erscheinen auch seine übergroßen Worte, die ins Subjekt gegossenen Gedenksteine aus den persönlichen Weltkriegen am rechten Platz.
Es erklärt sich damit auch seine Gegnerschaft zu den Kinderlosen, zu den Wustmenschen, zu denen, die die Kulissen der Aktualität für die Wirklichkeit halten.
So lässt er den großen Häuptling, der bekanntlich niemals mit gespaltener Zunge spricht, noch einmal zu Wort kommen:
„Später sollte er es noch des öfteren mit weit ärgeren überzeugt-Kinderlosen zu tun bekommen, einzeln oder in Paaren. In der Regel hatten sie einen scharfen Blick und wussten auch, selber in furchtbarer Schuldlosigkeit dahinlebend, im Expertisendeutsch zu sagen, was an einem Erwachsenen-Kind-Verhältnis falsch war; manche von ihnen übten solchen Scharfsinn sogar als ihren Beruf aus.“
Der Heranwachsende, der unmerklich zum Erwachsenen geworden war, der Täter, der Schuldbeladene, der Alleinerziehende lebte also im ständigen Zerwürfnis mit den Besserwissern und ihren wohlfeilen Naseweisheiten, die doch selber nur in die eigene Kindheit und in das eigene fortgesetzte Kindsein vernarrt waren und sich in der Nähe sogar als ausgewachsene Monstren erwiesen.
„Er verfluchte diese selbstgerechten kleinlichen Propheten als den Auswurf der modernen Zeiten, hob vor ihnen das Haupt und schwor ihnen die ewige Unversöhnlichkeit. Bei dem antiken Dramatiker fand er den ihnen gebührenden Bannfluch:
„Sind Kinder allen Menschen doch die Seele. Wer dies nicht erfuhr, der leidet zwar geringer, doch sein Wohlsein ist verfehltes Glück.“