„Mehr Demokratie wagen“ statt Jamaika?
Am 04.11.17 meldete die Tagesschau:
Wenn man einen Blick in das Grundgesetz (GG) riskiert kommt man aber zu einer anderen Einschätzung! Nach dem GG soll das Parlament die Regierungen kontrollieren. Tatsächlich sind die Regierungschefs gleichzeitig Parteivorsitzende, kontrollieren in dieser Funktion die Fraktionen und diese disziplinieren ihre Abgeordneten. Die Regierung kontrolliert über die Partei also das Parlament – das genaue Gegenteil von Gewaltenteilung und repräsentativer Demokratie nach dem Konzept des GG. Koalitionsverträge der Parteivorsitzenden verstärken diese Disziplinierung und Entmachtung der Parlamente.
Erfolglose Taktik der Medien
Vor 40 Jahren begann das Parteienmonopol von Union, SPD und FDP angsam zu bröckeln.
- Bei der Bundestagswahl 1976 bekamen sie zusammen noch über 99 {18423f3510016d69a38748c31b9d3c63e55e56caeb597c341a8ea176480d5299} der Stimmen, fast wie die Blockparteien in der DDR.
- Bei der Kommunalwahl 1977 in Niedersachsen traten erstmals grüne Listen aus der Anti-AKW-Bewegung an und errangen vereinzelt mehr Mandate als sie Kandidaten aufgestellt hatten.
- Zu den Landtagswahlen im Juni 1978 traten in Niedersachsen und Hamburg die Grüne Liste Umweltschutz (GLU) und in Hamburg zusätzlich die Bunte Liste an, und errangen einen Achtungserfolg.
- Bis zum Einzug in den Bundestag 1983, der ohne den Rückenwind der Friedensbewegung nicht gelungen wäre, war es dann noch ein langer und steiniger Weg. Von den Medien – damals sagte niemand Lügenpresse – wurden sie zunächst totgeschwiegen, dann als kommunistisch unterwandert diffamiert und schließlich wurde in Ansätzen objektiv, aber mit spitzen Fingern und wie über Marsmenschen über sie berichtet.
- Anschließend wurden sie im Bundestag ausgegrenzt, bis sie 1987 deutlich gestärkt aus der Wahl hervorgingen.
- Auch die PDS wurde ab 1990 in gleicher Weise bekämpft, und wieder wurde sie bei den Wahlen von 1994 und 1998 stärker und stärker.
Jetzt wird die zweifach erfolglose Strategie bei der AfD versucht, und wenn sich diese Partei nicht sehr dumm anstellt, sich also nicht in Flügelkämpfen selbst zerlegt, werden die etablierten Parteien zum dritten Mal scheitern und jetzt den rechten Rand stärken. Lernfähigkeit scheint unter Politikern keine weit verbreitete Eigenschaft zu sein.
Eine „alternativlose“ Jamaika-Koalition?
Nach der Bundestagswahl vom 24.09.17 wurde die schwarz-gelb-grüne Jamaika-Koalition als alternativlos bezeichnet. Schon bei den Sondierungen deutet sich aber an, dass eine Einigung wohl nur mit faulen Kompromissen auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner möglich sein wird; wenn überhaupt.
Das einzige Motiv für dieses Bündnis wären Ministerposten. Es ist jetzt an der Zeit, sich auf der Suche nach Alternativen auf die Gewaltenteilung nach Art. 20 GG zurückzubesinnen.
Eine All-Parteien-Experten-Regierung? – Demokratie wagen!
Spätestens nach einem möglichen Scheitern der Jamaika-Koalitionsverhandlungen sollten die Bundestagsfraktionen dem Bundespräsidenten vorschlagen, dem Bundestag einen Kanzlerkandidaten Cem Özdemir zu präsentieren. Er wäre als assimilierter Türke ein Symbol für Offenheit Deutschlands, ein Vorbild für alle Migranten, sich an ihm ein Beispiel zu nehmen und als bürgerlich-liberaler Schwabe für SPD und CDU akzeptabel. Er sollte aber keine grüne Minderheitsregierung führen, sondern eine All-Parteien-Experten-Regierung.
Alle Parteien einschl. LINKE und AfD sollten je einen Experten als Vertrauensperson benennen dürfen. Für das Außen- und Verteidigungsministerium wären für die internationale Außenwirkung zusätzlich je ein Berufspolitiker von CDU und SPD als bekannte Namen nötig (Uschi und Sigi könnten bleiben). Ihre Politik würde sowieso von einer faktischen Großen Koalition gestützt. Für die übrigen Posten sollte die Fachkompetenz ausschlaggebend sein und diese Minister dürften nicht gleichzeitig Abgeordnete sein. Eine wichtige Aufgabe der Regierung und ihrer Vertrauensminister wäre, sich über den Finanzrahmen und den Haushalt zu einigen und dafür Mehrheiten im Parlament zu organisieren.
Für die Gesetzgebung sollte endlich und erstmals seit 68 Jahren die Gewaltenteilung nach Art. 20 GG beachtet werden. Gesetze sollen nach dem Willen der Verfassung im Parlament beschlossen und nicht aus den Ministerien dem Parlament bzw. der Koalition zum abnicken vorgelegt werden.
- Bei der Gesundheitspolitik (z.B. Bürgerversicherung) und auch in der übrigen Arbeits- und Sozialpolitik bestehen Gemeinsamkeiten von SPD, Grünen, und Linken.
- In der Außen- und Sicherheitspolitik einschl. innere Sicherheit würden sich Union und SPD verständigen. Bei der Justiz und der Zuwanderung gibt es Übereinstimmungen bei SPD, Grünen und FDP.
- In der Wirtschafts- und Finanzpolitik könnten sich CDU/CSU, FDP und AfD einigen, die wohl auch die Luft aus der Bildungs-Blase ablassen und die duale Ausbildung retten (weniger Studenten, mehr Lehrlinge) könnten.
- Der Umweltschutz und eine Neuausrichtung der Landwirtschaft würde wieder von rot-rot-grün getragen und vorangebracht. Für linke Projekte und eine andere Politikbereiche ohne parlamentarische Mehrheit könnte im Einzelfall ein Kuhhandel mit einer anderen Partei vereinbart werden: stimmt ihr für unser Projekt, unterstützen wir eure Forderung.
Genau diese wechselnden Mehrheiten würden die Gewaltenteilung mit Leben füllen und im Übrigen auch den Lobbyisten das Leben erschweren. Begrenzte Koalitionen für einzelne Gesetzgebungspakete sind leichter organisierbar als Regierungsbündnisse, bei den 4 Jahre lang immer im Block und teilweise gegen die eigenen Überzeugungen abgestimmt werden müsste.
Wechselnde Mehrheiten können auch die AfD unter Druck setzen. Sie könnten sich nicht mehr auf eine Fundamentalopposition zurückziehen und müssten zu konkreten Gesetzesinitiativen ihre Positionen entwickeln und sie in Verhandlungen einbringen. Mancher Anhänger könnte sich seine nächste Wahlentscheidung gründlicher überlegen, wenn die AfD gegen seine Interessen gestimmt und vielleicht ein für ihn vorteilhaftes Gesetz verhindert hätte. Richtig interessant könnte es werden, wenn sich die AfD auf überhaupt keine Position einigen könnte und sich vielleicht spalten oder sogar zersplittern würde. Eine Jamaika-Koalition erspart ihr diese Belastungsprobe.
Wie so oft will man in der Politik auch hier auf neue Fragen nur alten Antworten geben. Die Phantasie der Politiker bei der Suche nach neuen Antworten ist leider begrenzt. Dann ist es die Aufgabe der Bürger, neue Ideen zu entwickeln.