Über die Sprache
Süddeutsche Zeitung:
„Das missbrauchte Geschlecht“
In der SZ fragt sich Peter Eisenberg, wie man Frauen in der Sprache sichtbarer machen kann. Diese Frage führt ihn geradewegs in Folgefragen:
- Muss man sich dafür zum Herren oder zur Herrin über die Grammatik aufschwingen?
- Führt dies nicht zu „sprachpolizeilichem“ Verhalten?
Die grundsätzliche Intention ist bereits fragwürdig.
Als vor fast vierzig Jahren das Fräulein abgeschafft war und das Gendern begann, wollte man damit zur Sichtbarmachung von Frauen in der Sprache beitragen. (…)
Die Abschaffung des „Fräuleins“ ist nachzuvollziehen. Eine Frau muss nicht mit sich umherschleppen, dass sie „offiziell noch zu haben“ ist. Das ist im Kern sexistisch im negativen Sinn. Wohin aber das ganze Gerede um die Sichtbarmachung führt, sieht man gerade. Nach den Frauen wollen seit geraumer Zeit auch die Transsexuellen und die Intersexuellen „sichtbar“ gemacht werden. Als würde man die meisten Transsexuellen nicht ohnehin sehen können. Möchte man überhaupt ständig an Transsexualität erinnert werden?
Sprachlich ist das „Sichtbarmachen“ der Frau ohnehin fragwürdig; denn
(…) Wortbildungslehren beschreiben das Ergebnis der Ableitung von Substantiven mit dem Suffix „er“ aus Verben (Bäcker aus backen) als „Person, die die vom Verb bezeichnete Tätigkeit ausübt.“ Von Männern ist beim Nomen Agentis nicht die Rede. Bäcker als Maskulinum bezeichnet ebenso wenig ausschließlich Männer wie Person als Femininum ausschließlich Frauen bezeichnet. So ist das im Deutschen. Es gibt hier ein Wort, das ausschließlich Frauen bezeichnet (Bäckerin), aber keins, das ausschließlich Männer bezeichnet. Frauen sind sprachlich zweimal, Männer einmal sichtbar. (…)
Frauen sind dementsprechend in der Sprache bereits überrepräsentiert. Zu viel ist für den Feminismus allerdings nie genug. Hier liegt auch der Titel begraben: Das „missbrauchte Geschlecht ist das grammatikalische Geschlecht.
Der Genderwahn und die Flüchtlingskrise
Selbst in Zeiten von Flüchtlingskrisen gibt es Zeit für den Genderwahn.
(…) Dasselbe gilt für durch Konversion des Partizip II gebildete Substantive. Ein Geflüchteter kann einer sein, der sich einem Regenguss oder einer nervigen Seminarveranstaltung entzieht, ein Flüchtling dagegen flieht vor Krieg, Gewalt oder politischer Verfolgung. Der Bedeutungsunterschied ist in allen besseren Wörterbüchern des Deutschen niedergelegt. Niemand von den elf Millionen Menschen, die am Ende des Zweiten Weltkriegs ihre Heimat verlassen haben, hat sich als Geflüchteter bezeichnet, alle waren Flüchtlinge und sind es geblieben. Es gibt überhaupt keinen Grund, das Wort Flüchtling aus dem Deutschen zu vertreiben, sieht man vom Gendern ab. Flüchtling lässt sich nicht gendern, die Form Flüchtlingin ist aus morphologisch-systematischen Gründen ungrammatisch. (…)
Anstatt die eigentlichen Probleme zu lösen, schafft man neue, indem man die Sprache verunstaltet. So ist es aber mit der politischen Korrektheit.
Wer für den Artikel „Das missbrauchte Geschlecht“ in der Süddeutschen keine Zeit hat, kann sich den Genderwahn in der Sprache von Jürgen von der Lippe erklären lassen:
Jürgen von der Lippe erklärt den sprachlichen Genderwahn
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