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4. Perspektiven

Nach der Weltwirtschaftskrise ab 1929 ist die Kapitalwirtschaft in der Weltwirtschaftskrise von 2008 erneut an eine vergleichbare historische Grenze gestoßen, die aus ökonomischen, sozialen und ökologischen Gründen nahelegt, analog zu den skizzierten historischen Ablösungen von Produktionsweisen und Sozialformen den Übergang in eine neuartige, funktional und zivilisatorisch höhere ‚Wirtschaft der Gesellschaft´ zu fördern (Müller 2005, S. 254 ff.). Hierfür ist offenkundig wieder ein längerer historischer Prozess ökonomischer und gesellschaftlicher Transformation notwendig, in dem die neue Formbildung einer „Sozialwirtschaft“ die in immer mehr Schwierigkeiten führende, gesellschaftsgeschichtlich eigentlich schon überholte „Kapitalwirtschaft“ aufhebt, indem sie sie überformt, durchdringt und in sich aufnimmt (Wallerstein/Müller 2010).

Gegenwärtig ist ein sehr breiter und vielseitiger Diskussionsprozess in Gang gekommen, welche Veränderungen in dieser Grundrichtung möglich und sinnvoll sind. Kurzfristig scheint beispielsweise möglich, die gesellschaftliche Reproduktion an ökologischeZielvorgaben zu binden, Maßstäbe und Ziele gesellschaftlicher Wohlfahrtsziele vorzugeben und sie lenkungs- und verteilungspolitisch durchzusetzen.

Die Überwindung von Armut im eigenen Land und auch die Öffnung von entsprechenden neuen Entwicklungspfaden für Länder in aller Welt sind realistische Möglichkeiten.

Die halbierte Demokratie des bestehenden politischen Systems muss hierfür schrittweise im Sinne einer Wirtschaftsdemokratie (Bontrup 2010) erweitert und vertieft werden, was auch eine neue Unternehmensverfassung erfordert. Denn angesichts der bestehenden Machtverhältnisse ist ohne Wirtschaftsdemokratie eine wirksame und nachhaltige makroökonomische Steuerung, diese zugleich im Kontext einer umfassenden Gesellschaftspolitik, politisch nicht durchsetzbar.

Längerfristig muss durch die Entfaltung einer breiten demokratischen Bewegung die permanente, systemisch bedingte Enteignung der Lohnabhängigen und ihre Zurichtung als bloß dem Kapital nützliche Arbeitskräfte und ebenso ihre auf vielen Wegen geförderte politische Lähmung und Subalternität überwunden werden. Die Selbststeuerung der Gesellschaft sollte zukünftig auf einer tatsächlich demokratischen Politik beruhen, die alle Möglichkeiten einer gesellschaftlichen Informatik und sowie wissenschaftliche und kulturelle Selbstreflexion ausschöpft.

Das die Kapitalwirtschaft innerlich bestimmende ökonomische Verwertungskalkül und die entsprechend dominierende formale Rationalität der Renditerechnung sind als Steuerungsgrößen zumindest fragwürdig geworden oder gänzlich desavouiert, weil ihre Logik bereits innerhalb, besonders aber außerhalb des Subsystems Wirtschaft zu Fehlentwicklungen führt, besonders zu Finanzkrisen und zu konjunkturellen, aber auch zu ökologischen Krisen sowie zu Krisen der Staatsfinanzen.

Die moderne Ökonomie ist in einer historischen Perspektive gleichsam die heutige gesellschaftliche Erscheinungsform des Königs Midas: für wenige Nutznießer wird ohne Rücksicht auf Mensch und Natur alles zu Geld gemacht, und viel zu viele Menschen können deshalb nur in mehr oder weniger elenden Umständen oder gar nicht überleben.

Daher muss künftig im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben eine primär materiale, inhaltliche Rationalität gelten und über auch notwendige Gestalten einer formalen, kalkulierenden und rechnenden Rationalität übergreifen. Die heute noch gesamtgesellschaftlich anerkannten und angewandten ökonomischen Begriffe und scheinbar rationale Methoden, die in der kapitalwirtschaftlichen Praxis verankert sind, sind von ihr durchdrungen und geprägt. Sie tragen einen historisch-formationellen Stempel, das heißt sie sind nicht auf andere Bereiche übertragbar oder gar universalisierbar.

Andere ökonomische und gesellschaftliche Zusammenhänge erfordern grundsätzlich andere Begrifflichkeiten und Logiken, z. B. im Hinblick auf Ökologie, Gesundheit, Bildung und humane Lebensentfaltung. Die Ausweitung des verengten kapitalökonomischen Denkens auf andere gesellschaftliche Bereiche, wie sie für die neoliberale Entwicklungsphase typisch ist, bedeutet also gesellschaftlich und ökonomisch eine Fehlsteuerung, wirkt destruktiv und ist daher zu überwinden.

Im Grunde liegt eine nicht mehr hinnehmbare Verselbständigung der ökonomischen Sphäre gegenüber der gesellschaftlichen und politischen vor. Es handelt sich um eine Verkehrung von gesellschaftlichen Zwecken und ökonomischen Mitteln, die zurückgenommen werden muss. Die Unvermeidlichkeit dieser Rücknahme und einer Um- und Neugestaltung ergibt sich aus der gesellschaftlichen und globalen Situation.

Die eigentliche Aufgabe der Ökonomie besteht in der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse auf der Grundlage solidarischer Verhältnisse. Heute und in Zukunft kommt es dabei vor allem auf die Förderung und Ausstattung einer natur- und sozialverträglichen Lebensweise und auf die Überwindung von Armut und Elend an. Es sind dies Aufgaben und Ziele, für die die kapitalistische Verwertungswirtschaft und die ihr entsprechenden Formen nach allen Erfahrungen offenkundig nicht geeignet sind.

Gerade die Überwindung der Armut ist von der Kapitalwirtschaft nur teilweise, global betrachtet sogar ganz unzureichend sowie mit schweren Nebenwirkungen insbesondere ökologischer Art erfüllt worden. Indem Wissenschaft und Technik im Rahmen der Kapitalwirtschaft praktisch angewendet wurden, konnten die gesellschaftlichen Produktivkräfte in historisch einzigartiger Weise entfaltet werden. Wie die rasche Entwicklung der neuen Technologien zeigt, setzt sich dieser Prozess zwar immer noch fort, aber in der Kapitalwirtschaft drücken sich diese wachsenden Potenziale der gesellschaftlichen Arbeit als Überakkumulationskrisen mit Massenarbeitslosigkeit und zunehmender Verteilungsungleichheit aus statt in einer Steigerung des Wohlergehens der Menschen.

Eine zukünftige, weiter zu ergründende alternative Wirtschaftsweise, eine Sozialwirtschaft als Alternative zur Kapitalwirtschaft hätte die Aufgabe, die genannten Widersprüche aufzulösen und die ökonomische Praxis auf einem höheren Niveau in das gesellschaftliche Leben, das dann ein anderes Leben wäre, zu integrieren. Dazu muss, wie Polanyi feststellte, die historische „Entbettung“ der Märkte bzw. der Ökonomie durch ihre erneute Einbettung in eine vollständig demokratisierte Gesellschaft überwunden werden (Polanyi 1978).

Dank
Für konstruktive Kritik und hilfreiche inhaltliche Hinweise möchte ich an dieser Stelle Kristina Osmers, Werner Dicke, Hans-Juergen Driemel sowie in ganz besonderem Maße Herrn Dr. Horst Müller meinen Dank aussprechen! – Möglicherweise noch verbliebene Mängel verantworte ich alleine. GB
Der Aufsatz steht unter der GNU-Lizenz für freie Dokumentation und erschien ursprünglich auf Grundrisse

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Literatur (per Klick öffnen)

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Band 3: Von der Zeit der Bismarckschen Reichgründung 1871 bis zur Niederlage des faschistischen deutschen Imperialismus 1945 (zusammen mit Walter Becker und Alfred Schröter), Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1974 ( 3. Aufl., Berlin 1977

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