Eines immerhin muss ich dem Feminismus zugute halten.
Er hat mir geholfen zu verstehen, warum Menschen gegenüber totalitären Strömungen blind und zu selektiver Empathielosigkeit fähig sind.
Nehmen wir die Selbstverständlichkeit, mit der in der Antike Sklaven gehalten wurden.
Dass es Menschen gibt, die andere versklaven, finde ich nicht überraschend; ich gehe davon aus, dass es in jeder Gruppe zwanzig Prozent Arschlöcher gibt, die über Leichen gehen, wenn sie sich Vorteile davon versprechen: bei den Männern ebenso wie bei den Frauen, bei Alten, Jungen, Schwarzen, Weißen – egal. Aber um ein Konzept wie Sklaverei flächendeckend durchzusetzen, musste es im altrömischen Alltag auch die Durchschnittsfamilie normal finden, Sklaven zu halten. Warmherzige Menschen, die ihre Kinder liebten und zu Mitgefühl fähig waren.
Und das habe ich früher nicht begriffen: Wie war so etwas möglich?
Oder nehmen wir den Stalinismus.
- Wie kann es sein, dass so viele westliche Intellektuelle jener Zeit Stalin kritiklos zujubelten?
- Wie kann es sein, dass sie lieber die offizielle Propaganda glaubten als das, was jeder sehen konnte, der hinguckte?
- Wie kann man die schönen Worte und Theorien von Menschen für bare Münze nehmen, wenn ihre Taten eine andere Sprache sprechen?
- Wie kann man das Offensichtliche nicht wahrnehmen wollen?
Oder nehmen wir Verschwörungstheorien.
- Wie ist es möglich, dass Menschen eine so offenkundig absurde Theorie glauben wie die von der Jahrtausende alten Verschwörung der Juden?
- Oder der Freimaurer?
- Oder von wem auch immer?
All diese Fragen hat mir der herrschende Staatsfeminismus erschöpfend beantwortet. Ich erlebe, wie um mich herum aufgeklärte, kritische, liebevolle Menschen die ihnen eingetrichterten Stereotype des Feminismus‚ verinnerlicht haben, vom angeblichen Gender Pay Gap bis zu „Häusliche Gewalt ist männlich“. Manche sogar, ohne sie explizit zu erwähnen, quasi als selbstverständliche Voraussetzung: Dass hierzulande „das Patriarchat“ herrsche und die Frauen unterdrücke, beispielsweise (So unterdrückt möchte ich auch mal sein, dass meine Unterdrücker mich ernähren, in Vorstandspositionen hieven, wieder aufpäppeln, wenn ich scheitere, in brennende Häuser rennen, um mich zu retten, und all das, während ich sie bespucke und mit Verachtung überhäufe).
Vierzig Jahre Propaganda durch zu Hofberichterstattern verkommene Medien haben es geschafft, im Bild der Öffentlichkeit Feministinnen mit Frauen gleichzusetzen (und Kritiker des Feminismus’ demzufolge als frauenfeindlich). Vierzig Jahre Propaganda lassen die Menschen in diesem Land selbstverständlich annehmen, es ginge im Feminismus um die Beseitigung von Ungerechtigkeiten und nicht etwa darum, der privilegiertesten Kaste der Welt – weißen Akademikerinnen der Industrienationen – noch mehr Privilegien zuzuschustern. Selbiges wird ebenso wenig wahrgenommen wie der systematische Versuch, demokratische Grundrechte zu beseitigen und der Herrschaft einer totalitären Ideologie den Weg zu bahnen. Und aufgeklärte, kritische, liebevolle Menschen ziehen es vor, solche verbrecherischen Machenschaften zu ignorieren und weiterhin den schönen Worten der Nutznießerinnen dieser Machenschaften zu glauben.
Die Gehirnwäsche funktioniert so gut, dass selbst, wenn ich in einer Diskussion klarstelle, dass Feminismus und Frauen zwei verschiedene Paar Schuhe sind und sich meine Kritik gegen Ersteren richtet und nicht gegen Letztere, mein Gegenüber mich im nächsten Augenblick aus einer Art Pawlow’schem Reflex heraus fragt, ob ich etwas gegen Frauen habe, oder den Verdacht äußert, ich müsse wohl schlechte Erfahrungen mit Frauen gemacht haben.
Und so können Männer, die unter Häuslicher Gewalt leiden oder denen man ihre Kinder wegnimmt, ohne das geringste Mitgefühl mit Häme überschüttet werden. So können Grundrechte wie die Unschuldsvermutung im Vergewaltigungsvorwurf außer Kraft gesetzt und Männer zu Menschen zweiter Klasse gemacht werden, ohne dass sich nennenswerter Widerstand regt. So können Menschen, die der herrschenden Meinung widersprechen, dämonisiert werden. So haben viele den Glauben verinnerlicht, dass Männer ohnehin nicht über dieselbe Gefühlstiefe wie Frauen verfügen und man deshalb auch keine sonderliche Rücksicht auf sie nehmen muss.
All dies ist auch ein Zeichen für das Versagen meiner Generation. Meine Generation war die erste (und wenn ich mir die systematische Indoktrinierung der Kinder und Jugendlichen von heute ansehe, die einzige) Generation, der in der Schule beigebracht wurde, kritisch zu denken. Nichts als gegeben hinzunehmen, Quellen zu überprüfen und zu vergleichen, offizielle Aussagen infrage zu stellen. Und heute, da meine Generation maßgebliche Positionen in Politik, Medien und Wirtschaft innehat, wie geht sie mit dem um, was ihr beigebracht wurde?
Intelligente Menschen, die jede Verlautbarung unserer Regierung über ihre Atompläne mit Skepsis aufnehmen oder Nachrichten über den Verlauf des Bürgerkriegs in Syrien anhand unabhängiger Quellen überprüfen, kommen gar nicht auf die Idee nachzurecherchieren, ob es denn Erkenntnisse zu Geschlechterfragen gibt, die den offiziellen Äußerungen widersprechen. Noch kommt es ihnen merkwürdig vor, dass praktisch sämtliche Parteien in dieser Hinsicht dieselben schablonenhaften Antworten für uns bereithalten – noch mehr Privilegien für Akademikerinnen, noch mehr Quoten – und sämtliche überregionale Zeitungen ins gleiche Horn stoßen, von der „Bild“ über die „Zeit“ und die „Süddeutsche“ bis zum „Spiegel“.
Intelligente Menschen, die George Orwell kennen und Neil Postman, die gelernt haben, dass Korrelation nicht dasselbe ist wie Kausalität, dass es keine objektive Berichterstattung gibt, weil allein schon die Auswahl von Bildern und Informationen tendenziös ist, und dass die Frage „Cui bono – wem nützt es?“ nicht oft genug gestellt werden kann, diese Leute merken es nicht einmal, wenn klammheimlich Gleichberechtigung zu Gleichstellung wird und gleiche Arbeit zu gleichwertige Arbeit.
So ähnlich, stelle ich mir vor, muss es auch im Alten Rom zugegangen sein. Der Slogan „Brot und Spiele“ für die Ablenkung und Verdummung eines Volkes stammt schließlich von Juvenal. Und die damalige Propagandamaschinerie wird wohl ähnlich funktioniert haben wie heute und der Bevölkerung erklärt haben, dass Sklaven ja ohnehin nicht zu denselben Gefühlen fähig sind wie das Herrenvolk. Und dass es ihnen doch in der Sklaverei besser gehe als daheim, wo sie sich mühsam von karger Erde ernähren und jeden Tag um ihr Überleben kämpfen müssen.
So ähnlich muss es gewesen sein, wenn westliche Intellektuelle durch die neu entstandene Sowjetunion reisten und alles glaubten, was ihnen von offizieller Seite vorgesetzt wurde. Oder wegsahen, wo die Diskrepanz zwischen Schein und Sein allzu offensichtlich wurde. So, wie Menschen auch heute das Offensichtliche nicht wahrnehmen wollen: die geringere Lebenserwartung der Männer, die Bösartigkeit, mit der über sie gesprochen wird, das unterschiedliche Maß, mit dem die Taten von Männern und Frauen bewertet werden.
Und wenn Menschen sich einreden können, dass sich Männer seit Jahrtausenden verschworen haben, um Frauen zu unterdrücken, ist es leicht nachzuvollziehen, dass sie sich ebenso leicht einreden können, irgendwelche „Weisen von Zion“ würden die Welt unterjochen.
Wenn ich vor dem Feminismus warne, fragen mich wohlmeinende Freunde erstaunt:
„Was regst du dich so auf? Ja, es gibt möglicherweise ein paar Auswüchse, aber insgesamt handelt es sich doch um eine fortschrittliche Bewegung, die Benachteiligungen beseitigen will.“
Welche Benachteiligungen?
„Na ja, äh …“
Eine solche Verhaltensweise hat in Deutschland natürlich eine lange Tradition. Unverständnis und Zorn ruft nicht der Verbrecher hervor, sondern derjenige, der das Verbrechen beim Namen nennt. Der den Finger auf die Wunde legt. Das ist der Spielverderber, der anständige Menschen aus ihrer Bequemlichkeit reißt und sie zwingt in Ecken zu gucken, wo sie gar nicht hinsehen wollen. Liebgewonnene Mythen aufzugeben. Womöglich gar die eigene Haltung überdenken zu müssen.
Ich halte es in diesen Dingen mit Günter Eich („Träume“, 1950):
Schlaft nicht, während die Ordner der Welt geschäftig sind! Seid misstrauisch gegen ihre Macht, die sie vorgeben für euch erwerben zu müssen! Wacht darüber, dass eure Herzen nicht leer sind, wenn mit der Leere eurer Herzen gerechnet wird! Tut das unnütze, singt die Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet! Seid unbequem, seid Sand, nicht das Öl im Getriebe der Welt.
Der Artikel erschien zuerst in Gunnar Kunz‘ Blog
Pfützenfische: Spielverderber