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Jungfrau Nothburg Nindl
„Hier liegt begraben die ehrsame Jungfrau Nothburg Nindl, gestorben ist sie im siebzehnten Jahr, just als sie zu brauchen war“

Kürzlich stieß ich über einen Artikel in der Zeit, in der Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, über die angebliche Schutzlücke im Sexualstrafrecht schreibt.

Unter anderem schrieb er:

Zwischen dem Nötigen und der selbstbestimmten Zustimmung gibt es den „Missbrauch„: von Kindern, Behinderten, Jugendlichen, Frauen, Migrantinnen. Die Terminologie ist verräterisch: als ob es auch einen „korrekten Gebrauch“ dieser Personen gäbe! In der herabsetzenden Begrifflichkeit, die auch von Vertretern sogenannter Opfer-Verbände gedankenlos repetiert wird, spiegelt sich das Elend des Sexualstrafrechts, gefangen zwischen Moral und Krankheit, Tabu und Pietismus, Ekel und Geilheit. Denn nicht der Mensch wird „gebraucht“ oder „missbraucht“ für die Befriedigung sexueller Wünsche, sondern die Macht, die Abhängigkeit, die Wehrlosigkeit.

Er wird auch in der Wikipedia erwähnt:

Für Thomas Fischer impliziert die Bezeichnung, dass von einer grundsätzlichen Befugnis im Einzelfall unzulässig Gebrauch gemacht werde, was eine überholte und unverständliche Perspektive sei. Der Sexualtäter missbrauche vielmehr seine soziale, physische und psychische Dominanz oder eine bestimmte Zugangsmöglichkeit zu den Kindern oder anderen besonders schutzbedürftigen Personengruppen.
Wikipedia bequellt dies mit: Thomas Fischer, Vor § 174 StGB, Begriff des Missbrauchs, in: Strafgesetzbuch und Nebengesetze, C.H.Beck, München 2011, Rn 8, S.1110 – 1111

Also zum Mitmeißeln: Der Missbrauch von einer Position, mit dem einer an jemanden etwas ausübt. Die Position wird missbraucht, nicht das Opfer.

Das blieb bei mir hängen, ich recherchierte daraufhin im deutschen Strafgesetzbuch und das Ergebnis möchte ich euch nicht vorenthalten:

Das allererste Strafgesetzbuch für das deutsche Reich trat am 1. Januar 1872 in Kraft.

Im Bereich der Straftaten, die mit Sexualität zu tun haben, gab es zu Beginn das Wort „Missbrauch“ nicht.

Erst ab 15. Juni 1943 gab es dieses Wort im § 174: „…wer (..) einen anderen zur Unzucht missbraucht.“
Im § 175, den es mittlerweile nicht mehr gibt, der aber am 1. September 1935 eingeführt wurde, heisst es erstmals: „Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen läßt..“

1. September 1935 und 15. Juni 1943? Ah ja. Wer hat’s erfunden?

Im November 1973 – wir schreiben das Zeitalter der sozial-liberalen Koalition – gabs dann ne dickere Reform. Hier wird das M-Wort nun erstmal in einen „brauchbaren“ Kontext gepackt, und dies im § 180: „Wer eine Person unter achtzehn Jahren, (…) unter Mißbrauch einer mit dem Erziehungs-, Ausbildungs-, Betreuungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit bestimmt, sexuelle Handlungen an oder vor einem Dritten vorzunehmen…“ auch im § 174a (1) bleibt der Sprachgebrauch korrekt, aber im § 174a (2) holperts wieder: „Wer den Insassen einer Anstalt für Kranke oder Hilfsbedürftig (…) DADURCH MISSBRAUCHT, (…) dass er sexuelle Handlungen an ihm vornimmt…“
Im § 179 scheint es ein copy-paste des unkorrekten § 174a (2) zu sein.

Im § 174b wird Missbrauch wieder korrekt „ge-braucht“, der § 176 verzichtet auf das M-Wort.

1994 wir dann der § 182 nationalsoz^^, pardon, verbal geschändet : „Eine Person über achtzehn Jahre, die eine Person unter sechzehn Jahren DADURCH MISSBRAUCHT…“

Und im Jahr 1998 gibts auch erstmals „den Missbrauch von Kindern“ in § 176a und § 176b.

  • § 174: Thema „Schutzbefohlene“
    ab 1. Januar 1872 bis 14.Juni 1943:
    „…unzüchtige Handlungen vornehmen…“
  • ab 15. Juni 1943:
    „Mit Zuchthaus oder mit Gefängnis nicht unter sechs Monaten wird bestraft, wer (..) EINEN ANDEREN ZUR UNZUCHT MISSBRAUCHT.“
  • ab 24. November 1973:
    „Wer sexuelle Handlungen (…) unter Mißbrauch einer mit dem Erziehungs-, Ausbildungs-, Betreuungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit (…) vornimmt …“
  • § 174a
    ab 24. November 1973:
    § 174a 1 (Gefangene)
    Gefangene: „Wer sexuelle Handlungen an einem Gefangenen (…), der ihm zur Erziehung, Ausbildung, Beaufsichtigung oder Betreuung anvertraut ist, unter Mißbrauch seiner Stellung vornimmt (…)“
  • § 174a 2 (Hilfsbedürftige)
    „Wer den Insassen einer Anstalt für Kranke oder Hilfsbedürftig (…) DADURCH MISSBRAUCHT, dass er unter Ausnutzung der Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit sexuelle Handlungen an ihm vornimmt „
  • § 174 b
    ab 24. November 1973:
    „Wer als Amtsträger(…) unter Mißbrauch der durch das Verfahren begründeten Abhängigkeit sexuelle Handlungen an demjenigen, gegen den sich das Verfahren richtet, vornimmt…“
  • § 174 c
    1. April 1998
    „Wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm (…) zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut ist, unter Mißbrauch des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses vornimmt“
  • § 176 (Kinder)
    ab 24. November 1973
    „…sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt…“
  • § 176 a
    1. April 1998
    „Der sexuelle MISSBRAUCH VON KINDERN wird (…) bestraft…“
  • § 176 b
    1. April 1998
    „Verursacht der Täter DURCH DEN SEXUELLEN MISSBRAUCH…“
  • §§ 177, 188 Nötigung, Vergewaltigung
    (hier gibt und gab keine Verwendung des Wortes „Missbrauch“)
  • § 179 (widerstandsunfähige Personen)
    ab 24. November 1973:
    „…dadurch MISSBRAUCHT, daß er unter Ausnutzung der Widerstandsunfähigkeit sexuelle Handlungen an ihr vornimmt „
  • § 180
    ab 24. November 1973:
    “ Wer eine Person unter achtzehn Jahren, (…) unter Mißbrauch einer mit dem Erziehungs-, Ausbildungs-, Betreuungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit bestimmt, sexuelle Handlungen an oder vor einem Dritten vorzunehmen…“
  • § 182
    ab 1. Januar 1872:
    „Wer ein unbescholtenes Mädchen, welches das sechzehnte Lebensjahr nicht vollendet hat, zum Beischlafe verführt, „
  • ab 11. Juni 1994:
    „Eine Person über achtzehn Jahre, die eine Person unter sechzehn Jahren dadurch MISSBRAUCHT…“

Nun ja, soweit der historische Abriss nach Untersuchung der Quellen http://dejure.org/ und http://lexetius.com.

Was bleibt:

Wieso sind es gerade die Vertreterinnen der Opferindustrie, die hier auf sprachliche Korrektheit pfeifen, und ungeniert herumschreien, dass Menschen MISSBRAUCHT wurden und werden? Denn sie implizieren damit auf das Heftigste, dass es einen korrekten GEBRAUCH von Menschen gäbe.
(Liegt es eventuell an der unreflektierten Übersetzung englisch-sprachiger Texte, in denen von „abuse“ die Rede ist? Hier bin ich zuwenig Anglizist, um den Kontext von „abuse“ im Rahmen von „to abuse a person“ oder „to abuse the own power/position“ zu analysieren und darüber zu spekulieren, warum im englischen Sprachraum „to use humans“ kein Problem ist. Wer weiß darüber mehr?)

Und die in moralisch und politisch korrekten Angelegenheit so „vorbildliche“ deutschsprachige Wikipedia übernimmt den missbräuchlichen Gebrauch des M-Wortes mit der Begründung:

„Ob es ein sprachlicher Missgriff ist, haben wir nicht zu bewerten.“